Patentstreit um HIV-Medikament
Bundesgerichtshof verhandelt über Bestand einer Zwangslizenz
Raltegravir ist ein relativ neuer HIV-Wirkstoff. Unter dem Namen Isentress vom US-Pharmaunternehmen Merck Sharp & Dohme (MSD) 2007 zur Zulassung gebracht, spielte er aber schon in einigen Patentstreitigkeiten eine Rolle.
Aufsehen erregte eine Entscheidung des deutschen Patentgerichtes im Herbst 2016. Hier wurde - erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik - eine Zwangslizenz erteilt. Dies wird zwar häufiger beantragt, meist einigen sich die Parteien aber auf einen Vergleich. Im Fall Raltegravir muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden, ob das Patentgerichtsurteil Bestand hat und Merck das Medikament weiter auf dem deutschen Markt vertreiben darf.
Verfahrensgegner ist das japanische Unternehmen Shionogi & Co. Ltd. Es hatte 2002 ein Patent angemeldet, das auch Raltegravir umfasst. Dieses wurde 2012 vom europäischen Patentamt erteilt. Merck konnte dagegen noch keine Einsprüche durchsetzen, obwohl MSD 2007 als erstes Unternehmen eine Zulassung für Raltegravir in den USA bekommen hatte, ein Patent nur für diesen Wirkstoff hatten sie zuvor angemeldet. Das Europapatent von Shionogi ist breiter aufgestellt, es umfasst eine Vielzahl antiviraler Wirkstoffe.
Im Laufe der Gerichtsverhandlung im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass Merck den Japanern für die weltweite Lizenz zehn Millionen US-Dollar angeboten hatte. Das reichte jedoch nicht aus. Nach dem deutschen Patentgesetz sind Zwangslizenzen dann möglich, wenn sich ein Unternehmen ernsthaft, aber erfolglos um eine reguläre Lizenz bemüht hat und »das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet«.
In der Urteilsbegründung sah das Patentgericht diesen Fall als gegeben an. Raltegravir gehört zu den relativ neuen Integrase-Inhibitoren. Integrase ist eines der drei Schlüsselenzyme für die Vermehrung des HI-Virus. Deren Inhibitoren verhindern den Einbau der Virus-DNA in die DNA der menschlichen Zellen. Bei den Patienten verringert Raltegravir die Viruslast und reduziert das von ihnen ausgehende Ansteckungsrisiko, heilen kann er die Autoimmunerkrankung aber nicht. Vor allem Schwangere, Säuglinge, Kinder und langjährig HIV-Behandelte hätten keine Therapiealternative, sagen Experten. Shionogi behauptete im Prozess 2016 das Gegenteil, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Die deutsche Aids-Hilfe bezeichnete die Integrase-Inhibitoren als »die am meisten boomenden Medikamentenklasse« bei der HIV-Therapie.
Merck stand als Hersteller und Patentinhaber seinerseits schon vor einer Zwangslizenz für Isentress. Wie im Jahr 2012 bekanntwurde, hatte der drittgrößte indische Pharmahersteller Cipla eine solche beantragt. Er hatte sich einen Namen damit gemacht, lebensrettende antiretrovirale Medikamente für die Aids-Therapie zu niedrigen Preisen für Entwicklungsländer herzustellen. 2014 einigten sich Cipla und Merck, das Medikament unter einem anderen Namen zu vermarkten. Im vergangenen Jahr erzielte Merck mit Raltegravir einen Umsatz von fast 1,4 Milliarden Dollar. Die Rechte des US-Herstellers am Mittel laufen bis 2024.
Ebenfalls im Jahr 2014 konnte der UN-gestützte Medicines Patent Pool (MPP) mit Sitz in Genf eine Lizenz von Merck ankündigen, die pädiatrische Formulierungen von Raltegravir für HIV-infizierte Kinder ab einem Alter von vier Wochen umfasst. Mit dieser Lizenz können Pharmafirmen weltweit diese speziellen Rezepturen entwickeln und selbst herstellen. Verkaufen können sie sie zu niedrigen Kosten in den Entwicklungsländern mit der höchsten Aids-Krankheitslast - dort leben 98 Prozent der Kinder mit HIV.
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