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Pflege: Immer noch vor der Reform

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Veränderungen in der Pflege voranbringen, wichtige Akteure werden aber ausgeschlossen

Eine ambulante Pflegerin bandagiert die Beine eines alten Mannes.
Eine ambulante Pflegerin bandagiert die Beine eines alten Mannes.

Zwischen Skepsis und Hoffnung schwankt die Bewertung vieler Vorhaben der neuen Bundesregierung. Dies betrifft auch den Umgang mit der prekären Finanzlage der sozialen Pflegeversicherung. Im Bereich Pflege gibt es zudem eine Warteschlange von Gesetzesvorhaben, darunter das Pflegekompetenzgesetz, das pflegerische Tätigkeiten aufwerten soll. Für dieses Jahr inzwischen angekündigt ist das Gesetz zur bundeseinheitlichen Regelung der Pflegeassistenz, einer Berufsgruppe mit bisher bis zu zweijähriger Ausbildung, die bei unterstützenden Tätigkeiten zum Einsatz kommt.

Für die Pflege wurde in der vergangenen Woche außerdem eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe installiert, die bereits einmal zusammentrat. Sie soll bis Jahresende Eckpunkte für die nötigen Reformen liefern. Vor allem geht es um Vorschläge, wie die Pflegekosten einer älter werdenden Bevölkerung zu decken sind. Ziel sei eine grundlegende Reform, so Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Zur Arbeitsgruppe gehören für den Bund auch Familienministerin Karin Prien (CDU) und weitere Ministerien. Von den Ländern sind die für Pflege zuständigen Ressortchefs eingebunden. Beteiligt sind zudem die kommunalen Spitzenverbände sowie die Fraktionen der Regierungsparteien im Bundestag.

Nicht einbezogen sind hier bisher die Kostenträger, also die Soziale Pflegeversicherung beziehungsweise die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), und auch nicht die Pflegenden selbst, was für die Profis unter diesen etwa mit dem Deutschen Pflegerat möglich wäre. Auch deshalb bekam ein gemeinsamer öffentlicher Termin dieser beiden Akteure am vergangenen Freitag besonderes Gewicht.

Hierbei zeigt sich der neue Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Oliver Blatt, durchaus moderat. Auch aus seiner Sicht sollten die Ausgaben der Pflegeversicherung geprüft werden: »Wohin geht das Geld, wo kommt es an?« Vorhandene Mittel müssten effizient eingesetzt werden. Und die vorhandenen Pflegefachkräfte sollten dort arbeiten, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Forderungen aus dem Arbeitgeberlager, eine leistungsfreie Zeit nach Erstvergabe eines Pflegegrades einzurichten, wollte Blatt nicht pauschal unterstützen.

Auch der GKV-Chef erwartet, ebenso wie Wissenschaftler und Oppositionspolitiker, dass sich die Bundesregierung in Sachen Coronaschutzmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen und bei der Rentenversicherung für pflegende Angehörige erst einmal ehrlich macht. Würden die hier ausgelegten Gelder für gesellschaftliche Aufgaben an die Versicherung zurückgezahlt, gäbe es mit diesen zweimal fünf Milliarden Euro ein Polster für die »gründliche Reform«. Ansonsten sieht Blatt voraus, dass es schon 2026 in der Pflegekasse wieder eng würde. Neue Beitragssatzsteigerungen seien dann absehbar.

Pflegeratspräsidentin Christine Vogler musste zunächst die Anhebung der Pflegelöhne in den vergangenen Jahren noch einmal verteidigen – nicht ohne zu kritisieren, dass diese nicht einfach auf die Pflegebedürftigen umgelegt werden dürfte. Würde dieses Prinzip auf Krankenhäuser angewendet, müssten die Patienten entsprechende Zuschläge für ihre Behandlung zahlen, was kaum vorstellbar ist. Vogler macht jedoch noch eine andere Rechnung auf: »Bis 2035 fehlen 350 000 Pflegefachkräfte allein in der ambulanten Versorgung.« Seien die Löhne inzwischen auch besser, schauten veränderungswillige Pflegekräfte inzwischen genau auf die Arbeitsbedingungen. »Es dauert jedoch immer noch Monate, bis eine frei gewordene Stelle neu besetzt werden kann«, berichtet die Pflege-Expertin.

Für die Zukunft hat sie eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie sich die Ressourcen in der Pflege besser nutzen ließen. Etwa durch erweiterte Kompetenzen der Fachkräfte, was als Gesetzesvorhaben in dieser Legislatur auf der Tagesordnung der Koalition steht. Damit sollte das System weniger arztzentriert werden. Vogler möchte auch, dass Pflegekräfte den gesamten Prozess besser steuern, indem sie Angehörige oder Nachbarschaften einbeziehen. Für die zu Pflegenden und ihre Angehörigen sei das ganze Feld deutlich zu entbürokratisieren. Zur Planung der Pflegefinanzen sei notwendig, überhaupt erst einmal pflegerische Sozialdaten zu erheben, hier fehle jede Grundlage. Demnach gibt es genug Ansätze, die eine Pflegereform aufnehmen könnte – nicht zu vergessen, dass das ganze System deutlich präventiver gestaltet werden müsste. Dazu gehört, dass eben auch Pflegefachkräfte darauf hinarbeiten, dass höhere Pflegegrade möglichst vermieden werden oder etwa Schulpflegekräfte zur Regel werden, die für die Belange der Schulkinder ständige Ansprechpartner sein könnten.

Eine tiefgreifende Reform ist dringend nötig. Denn auf der anderen Seite warten die privaten Versicherungen schon darauf, dass ihre politische Lobby die Vorsorge viel mehr »eigenverantwortlich« stärkt. Aus deren Sicht sind neue Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung finanzpolitisch einfach nicht tragbar. Und eben privat getragene Zusatzversicherungen das Allheilmittel für alle Pflegeprobleme.

»Es dauert jedoch immer noch Monate, bis eine frei gewordene Stelle in der Pflege neu besetzt werden kann.«

Christine Vogler Präsidentin des Pflegerats

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