Mehr Geld für mehr Nebenwirkungen

Krebsmedikamente werden immer häufiger ohne korrekten Nutzensnachweis zugelassen

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Neue Krebsmittel sind oft maßlos überteuert, nutzen aber den Patienten nur wenig. Ein Beispiel hierfür ist das neue Brustkrebsmedikament Ibrance (Wirkstoff: Palbociclib). Der Gemeinsame Bundesausschuss, der über die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten und Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen entscheidet, stellte vor kurzem fest, dass bei dem seit November zugelassenen Medikament des US-Herstellers Pfizer »kein Zusatznutzen« für Patientinnen belegt sei. Das Präparat soll Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs helfen, für die keine Chemotherapie, Strahlentherapie oder Operation mehr in Frage kommt. 21 Tabletten kosten 5425,89 Euro. Eine Therapie schlägt pro Jahr mit über 66 000 Euro zu Buche. Im ersten Quartal 2017 hat Pfizer damit rund 600 Millionen Euro eingenommen. Der bisherige Therapiestandard Letrozol kostet im Jahr gerade einmal 300 Euro.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln wertete zuvor zwei Studien zu Ibrance aus. Aus der einen ließen sich »keine Vorteile für den neuen Wirkstoff gegenüber der Standardtherapie ableiten«. Die andere Studie zeigte, dass bei 78 von 100 Behandelten Nebenwirkungen auftraten. Dazu gehören Schmerzen, Übelkeit oder Durchfall. Beim älteren Vergleichspräparat war nur jede vierte Patientin von Nebenwirkungen betroffen.

Pfizer Deutschland erwidert auf nd-Anfrage, dass ein »umfangreiches Studienprogramm« die Wirksamkeit ihres Produktes belege. So halte Ibrance das Wachstum des Tumors länger auf als Vergleichspräparate. Pfizer kritisiert, dass deutsche Arzneimittelgremien diesen Faktor »nicht angemessen« berücksichtigten. Vertreter der Gremien erwidern: Bislang habe der Hersteller nicht nachgewiesen, dass sein Präparat das Leben der Behandelten verlängere oder ihren Zustand verbessere. Pfizer wird seine entscheidende Studie erst Ende 2018 abschließen. Die bisher vorgelegten Daten geben nur einen Zwischenstand wieder.

Für Pfizer ist die schlechte Beurteilung ein Problem: Das Unternehmen mit Hauptsitz in New York versprach seinen Aktionären fünf neue Blockbuster. Ibrance zählt dazu. Pfizer erzielte mit dem neuen Krebspräparat allein in den USA im Jahr 2016 bereits über zwei Milliarden Dollar Umsatz.

Krebsmittel sind für Pfizer enorm wichtig: Allein im vergangenen Jahr verkaufte das Unternehmen weltweit für fast fünf Milliarden Dollar Krebsmedikamente - und lag damit hinter den Schweizer Konzernen Roche und Novartis und den US-Unternehmen Celgene und Bristol-Myers Squibb auf Platz fünf der weltgrößten Hersteller. Krebs ist laut der Marktforschungsfirma Evaluate Pharma aktuell das umsatzstärkste Therapiegebiet überhaupt. Evaluate Pharma prognostiziert, dass sich der weltweite Umsatz von Krebsmedikamenten bis 2022 pro Jahr um 6,3 Prozent steigere. Boston Consulting sagt für Ibrance denn auch den zweithöchsten Umsatz aller Neueinführungen des Jahres 2015 voraus, fast fünf Milliarden US-Dollar im Jahr 2020.

Der Streit um das neue Präparat zeigt vor allem eines: Weltweit scheinen Behörden viele Krebsmedikamente zu früh zuzulassen. So kommen Medikamente auf den Markt, ohne dass die Hersteller deren Nutzen für die Patienten korrekt nachweisen können. Dies zeigten auch Chul Kim vom Nationalen Krebsinstitut der USA und Vinay Prasad von der Universität Oregon in Portland. Sie werteten für eine Studie den Nutzen von neuen Krebsmedikamenten in den USA für einen Zeitraum von fünf Jahren aus. Bei nur 15 von 54 Medikamenten konnten die Hersteller belegen, dass die Präparate das Leben der Patienten verlängern. Bei 39 der Medikamente wiesen sie nach, dass der Tumor lediglich langsamer wuchs. Auch spätere Studien liefern kaum bessere Resultate. Nur jedes sechste neue Krebsmittel verlängert das Leben der Patienten um mehr als hundert Tage. Die Wirkung weiterer Mittel ist schlechter oder unklar.

Ähnliches zeigte eine Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts in Wien von 2016. Dafür untersuchten die Forscher den Nutzen von 73 Medikamenten, die zwischen 2009 und 2015 in der EU für 134 Anwendungen zugelassen wurden. Die effizientesten Präparate verlängerten das Leben der behandelten Patienten um einige Monate: Bei 16 Prozent der Präparate betrug der Zeitgewinn für Patienten über drei Monate. Bei 39 Prozent lag er unter drei Monaten.

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