Notunterkünfte ohne Ende

Bis Jahresende kann voraussichtlich nur ein Viertel der Geflüchteten in neue Heime ziehen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehrere tausend Geflüchtete könnten auch im kommenden Jahr noch in Notunterkünften leben. Zuvor hatten Medien berichtet, Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) wolle dafür sorgen, dass noch in diesem Jahr alle Geflüchteten in andere Heime umziehen können. »Frau Breitenbach hat nie erklärt, bis Jahresende alle Notunterkünfte zu räumen«, sagte nun deren Sprecherin Regina Kneiding dem »nd«. Das sei in den Medien falsch kommuniziert worden. »Das Ziel ist es aber, bis Jahresende die besonders prekären Notunterkünfte zu räumen.«

Zu den besonders prekären Unterkünften gehören beispielsweise die Hangars am ehemaligen Flughafen Tempelhof. Dort müssen die Bewohner in riesigen Hallen miteinander auskommen - und das zum Teil seit zwei Jahren. Dort sind noch rund 500 Geflüchtete untergebracht. In allen prekären Unterkünften zusammen sind es der Sozialverwaltung zufolge noch 2500 Flüchtlinge.

Insgesamt leben noch fast 11 000 Geflüchtete in 40 Notunterkünften. 33 Notunterkünfte hat Sozialsenatorin Breitenbach seit Beginn ihrer Amtszeit im Dezember bereits frei geräumt und die Bewohner auf bessere Einrichtungen verteilt. Notunterkünfte sind Heime, die nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Standards zum Wohnen erfüllen: Die Wohnfläche ist meist zu klein, häufig sind die Zimmer nicht abschließbar, oder es sind zu wenige Sanitärräume vorhanden. In fast allen Fällen fehlen Küchen, in denen die Bewohner ihre Mahlzeiten selbst zubereiten können.

Ende Juni wurde das seit Jahren marode Heim in der Motardstraße in Spandau geräumt, in dem einmal bis zu 550 Menschen gelebt haben. Kurzfristig sollen die prekären Unterkünfte in der Ruschestraße in Lichtenberg sowie in der Messehalle ICC in Charlottenburg aufgegeben werden. Die Bewohner erhalten Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, in denen sie selbst kochen können.

Offen ist nach wie vor, was mit den Heimen des gekündigten Betreibers Gierso wird. Wegen Forderungen der Firma in Millionenhöhe gegenüber dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hatte der Heimbetreiber gedroht, 900 Menschen auf die Straße zu setzen. Daraufhin kündigte die Sozialverwaltung dem Betreiber, ließ sich dann aber auf Gespräche ein. Die ziehen sich hin. Müssten die Bewohner kurzfristig anderswo untergebracht werden, würde dies die Räumung der Notunterkünfte weiter verzögern. »Es bleibt aber bei der Kündigung«, stellt Regina Kneiding für die Sozialverwaltung klar. Im LAF selbst gibt es Stimmen, die davon ausgehen, dass die Kündigung jedoch nie vollzogen wird und man stattdessen die befristeten Verträge regulär auslaufen lässt.

»Die Grenzen der Zumutbarkeit sind längst überschritten«, sagt Martina Mauer vom Flüchtlingsrat und reagiert damit auf Proteste von Geflüchteten an vielen Orten der Stadt gegen die Vollverpflegung (»nd« berichtete). »Niemand kann auf Dauer die diskriminierende und entmündigende Vollverpflegung aushalten.« Bis zur Schließung der Notunterkünfte schlägt sie vor, mobile Küchen neben den Heimen zu errichten. Zudem sollte die Nutzung von Küchen in umliegenden Gemeindehäusern, Schulen und anderen Gebäuden geprüft werden. Sozial-Staatssekretär Daniel Tietze (LINKE) hatte in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erklärt, der Vorschlag sei für den Betrieb von Notunterkünften nicht praktikabel.

Drei Wege sollen aus der Misere führen: Erstens sollen Flüchtlinge eigene Wohnungen erhalten. Doch weil preiswerte Wohnungen knapp sind, können nur wenige davon profitieren. Zweitens entstehen neue Unterkünfte. Und drittens werden Notunterkünfte zu Gemeinschafsunterkünften umgebaut. Doch weil die Auftragsbücher hiesiger Baufirmen prall gefüllt sind, konnten viele geplante Umbauten noch nicht starten.

Das ist aber nicht der einzige Grund für die Verzögerungen. Katina Schubert, flüchtlingspolitische Sprecherin der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus, weist darauf hin, dass der Bau der Tempohomes länger dauert als erhofft. Die Containerdörfer in den Außenbezirken der Stadt dürfen laut Hersteller nur drei Jahre lang stehen, weil sie dann verschleißen. Schubert: »Es war eine falsche Entscheidung der alten Landesregierung, auf Tempohomes zu setzen. Bei der Herstellung gab es viel Pfusch am Bau. Es gibt Fälle, wo die Container wegen Kriechstrom über Wochen nicht bewohnbar waren.« Rot-Rot-Grün habe keine neuen Container bestellt, der Senat müsse die von der alten Regierung in Auftrag gegebenen Container aber abnehmen.

Die grüne Flüchtlingspolitikerin Canan Bayram fordert, dass Bewohner von Notunterkünften in Zukunft Geld statt Vollverpflegung erhalten sollen. Davon könnten arbeitende Geflüchtete profitieren, die sich beispielsweise in Betriebskantinen versorgen können.

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