CSU-Politiker will NATO gegen Schleuser einsetzen

Weber: »Notfalls auch mit Gewalt« / Migrationsforscher: Abschottung Europas politisch und humanitär höchst fragwürdig

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Berlin. Während der stellvertretende CSU-Chef Manfred Weber nach Waffengewalt gegen Schleuser ruft, kritisiert der Migrationsforscher Jochen Oltmer die zunehmende Abschottung Europas gegenüber Flüchtlingen als politisch und humanitär höchst fragwürdig. Sie sei zudem eine weitere Gefahr für die Krisengebiete in Afrika und schaffe neue Fluchtursachen. »Es interessiert in Deutschland kaum jemanden, dass die vor Gewalt fliehenden Menschen in einem zerfallenen Staat wie Libyen zurückgehalten werden, der nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat«, sagte Oltmer dem Evangelischen Pressedienst. Weder das Europaparlament noch der Bundestag hätten bislang die Strategie der zunehmenden Vorverlagerung der europäischen Grenzen in andere Staaten diskutiert.

Derweil hat der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament Weber zum militärischen Einsatz gegen Schleuser gerufen. Die Europäische Union müsse viel entschlossener gegen diese vor der libyschen Küste vorgehen - notfalls auch mit Gewalt, sagte er der »Bild«. »Das unmenschliche Geschäft der Schlepper-Mafia muss notfalls mit Waffengewalt bekämpft werden, auch um die Flüchtlinge zu schützen«, so Weber. Wie und ob bei einem solchen Vorgehen überhaupt zwischen Schleusern und Geflüchteten unterschieden werden könnte, sagte Weber nicht. »Es braucht ein UN-Mandat, um auch in libyschen Gewässern operieren zu können. Dort könnten Schlepper bekämpft werden, wenn sie ihre Boote nach Libyen und an Land bringen, bevor sie Flüchtlinge aufnehmen.«

Denkbar sei, NATO-Schiffe im Mittelmeer vor Libyen patrouillieren zu lassen, sagte Weber. »Das allein würde schon viele Schleuser abschrecken.« Zudem müsse die EU-Grenzschutzagentur Frontex massiv aufgestockt werden - auf bis zu 10.000 Mann. Die EU-Staaten seien im Kampf gegen Schlepper bisher halbherzig zu Werke gegangen. Als Folge des Bürgerkriegs gibt es in dem nordafrikanischen Land keinen funktionierenden Grenzschutz. Im Schnitt kamen zuletzt mehr als zehntausend Migranten im Monat über Libyen nach Italien.

Der Osnabrücker Migrationsforscher Oltmer sagte dagegen, Libyen, aber auch andere nord-, ost- und westafrikanische Staaten bekämen viel Geld dafür, dass sie Flüchtlinge vom Weg nach Europa abhielten. Dennoch seien die meisten Länder nicht in der Lage, die Schutzsuchenden auch nur halbwegs menschenwürdig unterzubringen. »Das ist ein enormes Risiko auch für die Länder, in denen die Flüchtlinge gegen ihren Willen aufgehalten und in Lager gesteckt werden«, sagte Oltmer Dadurch erhöhe sich das Gewalt- und Konfliktpotenzial deutlich. »Europa exportiert Probleme, die weitere Fluchtursachen schaffen«, kritisierte der Wissenschaftler.

Die derzeitigen Hilferufe aus Italien angesichts der im Sommer wieder steigenden Zahl der Menschen, die aus Libyen kommend das Mittelmeer überqueren, sind aus Oltmers Sicht eher innenpolitisch motiviert. Sie dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorgeschobene Sicherung der europäischen Grenzen immer besser funktioniere. Die Balkanroute sei seit Monaten geschlossen. Auch über die westlichen und östlichen Mittelmeerrouten kämen kaum noch Flüchtlinge.

In Europa und Deutschland führe die Abschottung zu dem von der Politik gewünschten Effekt, kritisierte der Forscher: »Das Leid der Menschen und die Gewalt als Hintergrund der Fluchtbewegungen werden nicht mehr wahrgenommen, weil sie nicht mehr so sichtbar sind. Die kritischen Fragen aus der Zivilgesellschaft, mit welchen autoritären und korrupten Staaten Deutschland und die EU da eigentlich Abkommen unterzeichnet haben, bleiben aus.«

Dennoch warnte Oltmer davor, an eine hundertprozentige Schließung der Grenzen zu glauben: »Solange die Konfliktherde nicht entschärft sind, werden Menschen auf der Suche nach Schutz und Sicherheit neue Wege finden.« Schon gebe es Anzeichen, dass die Fluchtbewegungen aus Ägypten und Tunesien, das vor 2013 schon einmal wichtiges Transitland gewesen sei, wieder zunehmen. Agenturen/nd

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