Eine Landschaft im Karomuster

Die Region um Ustka an der polnischen Ostseeküste entwickelt sich zu einem Ganzjahresreiseziel

  • Cornelia Höhling
  • Lesedauer: 5 Min.

Nahezu jeder grapscht ihr an die Brust. Und das ausgerechnet hier, wo für Männer und Frauen einst getrennte Badestellen eingerichtet waren. Doch ein Schild fordert extra dazu auf. Angeblich kann die Meerjungfrau, deren bronzene Skulptur die Ostmole der polnischen Kur- und Hafenstadt Ustka (Stolpmünde) schmückt, dabei einen Wunsch erfüllen. Wer lässt sich das schon zweimal sagen?

An den als Wellenbrecher vor der Mündung der Stolpe angelegten 500 Meter langen Molen herrscht meist Betrieb. Vom Gekreisch der Möwen und dem Meeresrauschen begleitet, fahren Fischerboote und Ausflugsschiffe im Hafen ein und aus. Touristen lassen sich den frischen Seewind um die Nase wehen und genießen die Aussicht auf den breiten, drei Kilometer langen Sandstrand und die Promenade. Viele nutzen die schwenkbare Fußgängerbrücke, um ans Westufer zu gelangen, wo zwischen Wald und Dünen der Geschichtspark »Festung Ustka« mit einer Ausstellung im einstigen Bunker »Batterie Blücher« zu besichtigen ist.

Bereits im Mittelalter hatten sich an der Stolpe-Mündung Fischer und Seefahrer angesiedelt. Die ersten Badegäste reisten um 1820 in den Ort. Mit der Fertigstellung der Eisenbahnverbindung nach Słupsk (Stolp) 1878 wuchs schnell das Interesse an dem Ostseebad, das 1912 zunächst ein Kurhaus und 1988 den offiziellen Status eines Kurorts erhielt. Heute locken nicht nur die günstigen klimatischen Verhältnisse mit 1500 Sonnenstunden im Jahr. Vielseitige kulturelle Veranstaltungen, Konzerte und Festivals verwandeln das Seebad in eine Bühne. Ausflüge ins Hinterland und benachbarte Orte bringen weitere Abwechslung in den Urlaubsalltag. Mitunter werden sie zu Zeitreisen in die Geschichte der Region.

Bleiben wir zunächst in Ustka. Nach den Kaschuben, von denen der Ort seinen, die Flussmündung bezeichnenden Namen erhielt, war dieses lauschige Plätzchen inmitten herrlichster Natur zeitweilig auch im Besitz von Dänen, Schweden, Franzosen und Deutschen. Viele Prominente verbrachten hier ihre Sommerferien. Einer von ihnen, Otto von Bismarck, war ein großer Verehrer der einheimischen Küche und lobte vor allem den Hering als Delikatesse.

Auch heute verführen viele Fischräuchereien zum Einkehren, und zahlreiche Restaurants sind auf Fischgerichte spezialisiert. Der Küchenchef des »Dym na wodzie« (Rauch auf dem Wasser) überzeugte sogar die Tester der Schlemmerbibel »Gault Millau«. Ein Stopp in der Teestube »Herbaciarnia Galeria« des Ehepaars Nagórny kann wegen der kleinen Galerie und des angeschlossenen alten Weinkellers schnell zu einem längeren Aufenthalt werden. Mit einer süßen Spezialität überrascht das »Café Mistral« der gleichnamigen Pension. Besitzerin Beata Jakubiak präsentiert Krówki aus eigener Manufaktur. Die weichen Karamellbonbons, auch Kuhbonbons genannt, gibt es in fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen und Formen.

Wer hinter die Kulissen Ustkas schauen will, schließt sich Peter Haase bzw. seinem Double an. Um beim Rundgang die Geschichte des Ortes durch Anekdoten - wie die vom Kerzenwunder am Altar der alten Kirche im 30-jährigen Krieg - lebendig werden zu lassen, schlüpft Fremdenführer Marcin Barnowski in die Gestalt des als Seeheld in britischen Diensten berühmt gewordenen Schiffskapitäns. Gern zeigt er dessen 1804 erbautes Haus, das heute zu den Sehenswürdigkeiten unter den Fachwerkbauten des einstigen Fischerdorfes mit seinem romantischen Kapitänswinkel zählt. Die Fachwerkarchitektur ist noch in verschiedenen Orten Westpommerns zu finden und brachte der Region den Beinamen »Landschaft im Karomuster« ein, erzählt Barnowski. Er empfiehlt einen Ausflug nach Swołowo, der »Hauptstadt des karierten Landes«. Dort erleben die Besucher auf dem Albrechtshof, einem typischen Vier-Seiten-Hof, anschaulich traditionelle Tierhaltung und können sich selbst beim Strohdreschen oder Getreidemahlen versuchen.

Indes geht es auf der Flaniermeile von Ustka, der 1,5 Kilometer langen Promenade mit einigen schönen Jugendstilvillen, moderner zu. Überall Restaurants, Pensionen und Hotels. Sehenswert sind das alte Kurhaus und der gepflegte Kurpark mit seinen Denkmälern. Beim Spaziergang auf der Marinestraße mit Werft und alten Speichern trifft man ebenso auf Spuren der Geschichte. Der 21 Meter hohe Leuchtturm ermöglicht einen guten Überblick über die Stadt und ihre Umgebung.

Was kann es Schöneres geben, als nach dem Baden zu einem Wald- oder Strandspaziergang oder gar einer Radtour aufzubrechen? Bis Słupsk mit dem Schloss der Pommerschen Herzöge sind es etwa 20 Kilometer. Im Zentrum trifft man immer wieder auf Glücksbären. Die etwa 20 Nachbildungen einer 3000 Jahre alten Bernsteinfigur, die 1887 gefunden wurde und vermutlich einem Jäger als Amulett diente, sind zum Wahrzeichen der fünftgrößten Stadt Pommerns geworden. Nicht nur die Kirchen, das Mühlentor und der Richterspeicher, auch der 56 Meter hohe Aussichtsturm am Rathaus und die Überreste der Stadtmauer mit der Hexenbastei, wo bis 1701 vermeintliche Hexen gefoltert und hingerichtet wurden, sind sehenswert. Am neogotischen Postgebäude wird an Heinrich von Stephan erinnert, der 1831 in Stolp zur Welt kam. Als Generalpostmeister des Deutschen Reiches ebnete er der Postkarte den Weg.

Wie wär’s mit einem Kartengruß von den Wanderdünen an die Lieben daheim? Dazu muss man nicht erst nach Afrika reisen. Es genügt ein Radausflug auf der »Strecke der verschwundenen Gleise« von Ustka nach Rowy (20,7 km). Der Küstenort bildet den westlichen Eingang zum Slowinzischen Nationalpark, seit 1977 als Biosphärenreservat von der UNESCO anerkannt. Hier beginnt die rund 500 Hektar große »Polnische Sahara«, die sich auf Wanderpfaden durchstreifen lässt. Die mit 42 Metern höchste Düne wandert jährlich rund zehn Meter Richtung Osten. Die Feuchtwiesen und Weiden des Nationalparks bieten Sumpf- und Wasservögeln günstige Brutbedingungen, so dass sich auch »bird-watching« wachsender Beliebtheit erfreut. Manch einer trifft unverhofft auf Hirsche, die in den umliegenden Wäldern nahe Kluki ihre Brunftplätze haben. Kein Wunder, dass die polnische Ostseeküste längst zum Ganzjahresferienziel geworden ist.

Infos

Der Katalog »Ostsee in Polen« enthält neben den Urlaubs-, Wellness- und Kurangeboten von Juli 2017 bis April 2018 Pauschalangebote für die Zeit des Jahreswechsels und ist kostenlos erhältlich unter Tel.: (01803) 48 48 33 oder www.travelnetto.de.

Literatur: »Die polnische Ostseeküste«, Kerstin und André Micklitza, Trescher-Verlag Berlin, 12,95 Euro

Allgemeine touristische Infos zu Polen: Tel.: (030) 21 00 920 www.polen.travel

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