Aufregende Angriffslust

Die deutschen Fußballerinnen starten gegen Schweden in die EM - mit verjüngtem Team und neuer Spielfreude

Wenn man aus nördlicher Richtung nach Sint-Michielsgestel fährt, wirkt das Land noch flacher als sonst. Über große Flüsse wie die Waal oder die Maas und viele kleine Gewässer, vorbei an Wiesen und Feldern gelangt man irgendwann in die Gemeinde der Provinz Nordbrabant. Es bleibt idyllisch: viel Grün zwischen den backsteinroten Einfamilienhäusern, Tempo 30 auf den Straßen. Ruhe und Gelassenheit - die Vorzüge der Provinz.

Das wäre sicher alles ganz anders, wenn dieses eine Bild nicht täuschen würde. »Die Mannschaft« steht groß und golden auf dem schwarzen Reisebus, der in der langen Auffahrt zum Großen Ruwenberg steht. Dazu vier Sterne und das DFB-Emblem: Es ist der Bus der Fußballweltmeister der Männer. Weil aber die Europameisterinnen damit zu ihrer EM in die Niederlande gereist sind, ist auf dem großzügigen Gelände der Vier-Sterne-Anlage weit und breit kein Schaulustiger zu sehen. Davon abgesehen, dass der Deutsche Fußball-Bund seinen Nationalspielerinnen statt nur der Leihgabe ihrer männlichen Kollegen durchaus ein eigenes Gefährt hätte zur Verfügung stellen könnte, ist das gar nicht schlimm.

Ganz im Gegenteil: »Wir haben hier traumhafte Rahmenbedingungen«, schwärmt Steffi Jones. Die Abgeschiedenheit kommt der Bundestrainerin nicht ungelegen. Denn spätestens mit dem Anpfiff der ersten Gruppenpartie an diesem Montag (20.45 Uhr) gegen Schweden wird die Aufmerksamkeit vor allem auch ihr gelten. Es ist das erste Turnier für die 44-Jährige, nachdem sie das Team nach dem Olympiasieg in Rio von Silvia Neid übernommen hat. Den Zweiflern, die kritisierten, dass ihre erste Trainerstation gleich die Nationalmannschaft ist, muss und will sie beweisen, dass sie es kann.

Keine zwei Kilometer vom Teamcamp entfernt liegt der Sportpark Zegenwerp. Wo sonst der RKVV Sint Michielsgestell spielt, trainieren jetzt die deutschen Fußballerinnen. Drei Rasenplätze gibt es insgesamt, vor dem kleinen Stadion werden die Spielerinnen freundlich begrüßt. »Willkommen« steht auf einem kleinen Schild, das am Eingangstor hängt, dahinter zwei Aufsteller mit schwarz-rot-goldenen Luftballons.

Laut ist es während der Übungseinheiten, im positiven Sinne. »Spaß« sollen ihre Spielerinnen haben. Das ist Steffi Jones besonders wichtig - und war auch ein Grund dafür, warum sie sich für Markus Högner als einen ihrer zwei Co-Trainer entschieden hat. »Er bringt neben Fachwissen und viel Erfahrung auch großen Humor mit. Er kann wahnsinnig gut Stimmung machen und die Spielerinnen begeistern.«

Stören lassen sich die Einwohner von Sint-Michielsgestel aber auch hier nicht. Sie gehen wie gewohnt ins »Zwembad«. Direkt neben dem Trainingsplatz wird geplanscht und geschwommen. Wirklich was sehen könnten sie auch nur vom Sprungturm. Nur die erste Viertelstunde der täglichen Trainingseinheit ist offen, danach geht es hinter schwarz verhangenen Gitterzäunen weiter. Auch hier gilt: Ohne Ablenkungen arbeiten zu können, ist für die Bundestrainerin und ihre Spielerinnen wichtig. Einerseits war die Vorbereitungszeit vor dem Turnier recht kurz. Und andererseits: Steffi Jones hat einiges verändert.

»Leichtigkeit, Spielfreude, Angriffslust«, so umreißt die Bundestrainerin ihr Konzept. Sie lässt die Mannschaft offensiver spielen, in einem 4-4-2-System. Vor der Viererkette in der Abwehr ist das Mittelfeld in einer Raute gestaffelt, angeführt von der Regisseurin Dzsenifer Maroszan. Sie und die beiden Stürmerinnen haben unter Jones »alle Freiheiten«. Im Team kommt der neue Stil von Jones - abseits des Platzes offen und kommunikativ, auf dem Rasen Kombinationsfußball - gut an. »Vieles ist neu und aufregend. Es tut der Mannschaft einfach gut, neue Wege zu gehen«, erzählt Maroszan, die von der Bundestrainerin zur Spielführerin ernannt wurde.

Am Freitag wurde die Ruhe kurz gestört. Schwarze Limousinen stehen vor dem kleinen Haupthaus, das noch an das alte Schloss Ruwenberg erinnert. Der Rest des Hotels ist ein außen relativ schmuckloser, innen aber luxuriöser Anbau. DFB-Präsident Reinhard Grindel war zu Gast in Sint-Michielsgestel. »Es ist eine Frage von Wertschätzung und Respekt, persönlich vorbeizuschauen und alles Gute zu wünschen«, sagte er nach dem gemeinsamen Essen mit der Nationalmannschaft. Hoffentlich bleibt es nicht sein letzter Abstecher, denn vor dem Halbfinale bleibe ihm keine Zeit mehr.

Am Sonntag standen dann zwei Busse auf dem Gelände. Wie jedes andere Team muss auch das deutsche mit dem offiziellen, knallig bunten EM-Bus statt dem DFB-Gefährt durch die Niederlande reisen. Die erste Fahrt ging nach Breda. Dort kommt es an diesem Montag im ersten Gruppenspiel gleich zur Neuauflage des Olympafinals. Abwehrchefin Babett Peter warnt vor dem Gegner, sieht aber auch Positives: »Schweden ist für mich EM-Favorit. Ich freue mich, dass wir mit so einem Spiel ins Turnier starten, da muss man gleich voll da sein.«

Den Titel forderte Grindel bei seinem Besuch nicht. »Es geht hier nicht darum, Druck aufzubauen«, meinte er. »Es ist eine erfolgreiche EM, wenn das Team die Leistungen abruft, zu denen es fähig ist.« Den Druck haben sich die Spielerinnen und ihre Trainerin schon selbst gemacht. »Wir wollen Europameister werden!« Dieses Ziel gab Steffi Jones recht frühzeitig aus. Ihre erste Bewährungsprobe geht sie selbstbewusst an - und mit einem Kader, in dem acht Turnierneulinge dabei sind, aber immerhin auch noch 13 Olympiasiegerinnen vom Vorjahr in Rio.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal