Ist er oder ist er nicht?

Leo Perutz

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Was hat es mit diesem kauzigen, merkwürdigen, auf jeden Fall aber höchst auffälligen Stanislaus Demba - von dem wir später erfahren, dass er Student ist, Langzeitstudent würden wir heute sagen - eigentlich auf sich? Gleich zu Beginn sehen wir ihn einen Laden betreten: »Er war ein großer, breitschultriger Mensch mit einem kurzen, rötlichen Schnurrbart in einem sonst glattrasierten Gesicht. Er trug seinen hellbraunen Überzieher zu einer Art Wulst gewickelt, in welchem seine Hände staken, wie in einem Muff. Er schien einen langen Weg hinter sich zu haben, seine Stiefel waren schmutzig, seine Hosen bis zu den Knien hinauf mit Straßenkot bespritzt.«

Seine Hände scheint er auch in der Folge recht skurriler Szenen und Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen nicht wirklich bewegen zu können. Oder doch? Aber wie?

Leo Perutz, dessen Roman erstmals 1918 im Münchner Albert Langen Verlag erschienen ist und danach viele Übersetzungen und Neuausgaben erlebt hat, nimmt sich gehörig Erzählzeit (bis zum achten Kapitel und damit schon der Hälfte seines Textes), um den spekulierenden Leser über die Herkunft von Dembas Verhaltensweisen aufzuklären.

Demba nämlich erzählt da seiner jungen Freundin Steffi, die er freilich verschmäht, weil er unbedingt mit der anderweitig liierten Sonja eine Urlaubsreise antreten möchte, von einem Verbrechen, dem Diebstahl dreier Bücher aus der Bibliothek. Die Polizei hat ihn deswegen verfolgt. Beim Versuch der Festnahme gelingt ihm jedoch durch einen gewagten Sprung durchs Dachfenster die Flucht - allerdings in Handschellen, die er fortan auf seinem Irrgang durch Wien natürlich peinlich zu verbergen sucht. Am Ende misslingt dann noch die letzte Befreiung von den Handschellen, denn der Zweitschlüssel funktioniert dummerweise ebenfalls nicht, und Demba befindet sich zwölf Stunden später in derselben Situation wieder: Die Polizei dicht auf den Fersen, tritt er erneut an die Dachluke. Aber was geschieht dann?

Die Zeiten schieben sich ineinander, durcheinander. Morgen. Abend. War das alles nur ein böser Albtraum, den Stanislaus da durchmachen musste? Perutz’ Erzählkunst ist hier auf dem Höhepunkt angekommen; er versteht es meisterhaft, auch noch den heutigen Leser - diesseits aller gelungenen komisch-grotesken Situationsbeschreibungen - in Spannung zu versetzen. Wie in guten Kurzgeschichten oder aber auch Krimis wird alles auf die Pointe hin zugespitzt. Und dem Zsolnay-Verlag sowie dem Herausgeber Hans-Harald Müller sei gedankt, dass sie in loser Folge eine Reihe von Perutz’ Erfolgsromanen, denen man respektierlich getrost die Bezeichnung Unterhaltungsliteratur verleihen kann, neu herausgebracht haben.

Leo Perutz: Zwischen neun und neun. Roman. Herausgegeben von Hans-Harald Müller. Zsolnay Verlag. 240 S., geb., 24 €.

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