Auch Senioren brauchen Reha

Barmer-Report: Ältere Patienten werden im Krankenhaus oft nicht optimal behandelt

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Der demografische Wandel stellt die medizinischen Versorgungssysteme vor neue Herausforderungen. Doch gerade die Versorgung von über 70-jährigen mehrfach erkrankten Patienten weist erhebliche Defizite auf. Zu diesem Ergebnis kommt der am Mittwoch in Berlin vorgestellte Krankenhausreport der Barmer, der mit 9,4 Millionen Versicherten zweitgrößten Krankenkasse Deutschlands.

Demnach stieg die Zahl der stationär behandelten Patienten in dieser Personengruppe zwischen 2006 und 2015 um 80 Prozent auf zwei Millionen pro Jahr. Doch »finanzielle Fehlanreize« würden in vielen Fällen dazu führen, »dass Geriatriepatienten länger als nötig oder kürzer als erforderlich im Krankenhaus versorgt werden«, so Christoph Straub, Barmer-Vorstandschef. Dafür verantwortlich sei die starre, an der Dauer des Krankenhausaufenthaltes orientierte Vergütung für die sogenannte geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung(GFKB), die von vielen Kliniken als Alternative zur stationären Nachversorgung in Reha-Kliniken angeboten wird. Den Kliniken werden jeweils Verweilblöcke von sieben, 14 oder 21 Tagen vergütet. Obwohl aus medizinischer Sicht die Nachbehandlung von Akuterkrankungen und Unfällen in Reha-Kliniken oftmals sinnvoller und auch kostengünstiger wäre, sei die Anzahl der GFKB-Behandlungen in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Denn für die Kliniken ist das ein gutes Geschäft, vor allem, wenn sie die für die Vergütung entscheidende Verweildauer exakt einhielten, so Straub. Die Behandlungsdauer richte sich so immer öfter nach den größten Erlösen, nicht nach medizinischen Gesichtspunkten. Die Ermittlung des individuellen Versorgungsbedarfs und der bestmöglichen Therapie gerate so ins Hintertreffen.

Untersucht wurde dies in dem Report anhand einer in dieser Altersgruppe sehr häufigen und oftmals mit großen Komplikationen verbundenen Unfallverletzung, dem Oberschenkelhalsbruch. Aus den Daten geht eindeutig hervor, dass klassische Reha deutlich bessere Erfolge in Bezug auf Mortalität, Wiederherstellung der Mobilität und Vermeidung von Pflegebedürftigkeit aufweist. »Die GFKB im Akutkrankenhaus weist im Vergleich zur Versorgung in klassischen Reha-Einrichtungen einen geringeren Behandlungserfolg auf«, sagte Straub. So blieben Patienten mit Oberschenkelhalsbruch nach dieser Behandlung zu 47 Prozent pflegebedürftig. Mit einer normalen Reha seien es nur 40 Prozent.

Hinzu kommt ein deutliches Gefälle zwischen den Kliniktypen. Größere Krankenhäuser, die über mehr als fünf Fachabteilungen verfügen und dementsprechend interdisziplinäre Therapieansätze verfolgen können, schnitten signifikant besser ab als kleine Einrichtungen.

In dem Bericht nicht behandelt werden die Auswirkungen der oftmals sehr schlechten Personalbemessung in den geriatrischen Stationen und des inzwischen in vielen Kliniken dramatischen Fachkräftemangels im Pflegebereich auf die Qualität der Komplexbehandlungen. Dies, so Straub, sei ein generelles Problem des Vergütungssystems in Kliniken. Die starren Fallpauschalen hätten viele Klinikbetreiber veranlasst, in diesem Bereich den Rotstift anzusetzen, da ein höherer Pflegeaufwand nicht erstattet werde.

Für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di steht daher eine verbindliche Personalbemessung für die einzelnen Klinikbereiche seit einiger Zeit ganz oben auf der tarifpolitischen Agenda. Langfristiges Ziel ist eine gesetzliche Regelung zum Verhältnis Patienten pro Pflegekraft, wie es sie etwa in den Niederlanden, Schweden, Australien und der Schweiz gibt.

Eine weitere Fehlentwicklung im deutschen Gesundheitssystem wird in dem Report dagegen deutlich abgebildet: Während 2016 in Baden-Württemberg 17,7 und in Hamburg 18,8 Prozent aller Einwohner einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hatten, waren es in Sachsen-Anhalt 24,5 und in Thüringen 24,7 Prozent. Selbst wenn man die unterschiedliche demografische Entwicklung in diesen Regionen berücksichtige, sei offensichtlich, dass die immer schlechter werdende ambulante Versorgung dabei eine wichtige Rolle spiele, so Straub.

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