Buñuel und die Frauen

Im Kino: »Belle de jour« ist, digitalisiert, zurück im Kino

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist die alte Geschichte: wovon ein Mann träumt, dass eine Frau träumt, wenn alleingelassen, in ihren ungezügelten, ihren wirklich allerwildesten Fantasievorstellungen - nur hier ist sie verpackt in gerade so viel Sozialkritik, dass noch ein halbwegs ernsthafter Film dabei herauskommt - und nicht (oder jedenfalls nicht ausschließlich) ein billiges Stückchen Fessel(soft)porno.

Luis Buñuel, der spanische Bürgerschreck-Regisseur, und Catherine Deneuve, die stets ansatzlos perfekt platinierte Über-Blondine des französischen Films, so makellos schön, dass sie fast ein bisschen leblos wirkt, hochgradig kühl jedenfalls und manchmal geradezu wie aus Plastik (einem sehr hochwertigen Plastik, versteht sich) - dazu anrüchiger Sex mit einer Reihe wildfremder Männer: Das sind die perfekten Prämissen für einen weiteren Angriff auf den schönen Schein der Welt des Bürgertums, ihrer ostentativen Wohlanständigkeit und eingebauten Dekadenz. Wenn dann auch noch ein Ehemann hinzukommt, der nicht ahnt, dass seine proppere kleine Frau nicht nur ein eingebildetes Liebesleben von sattsam sadomasochistischer Färbung pflegt, sondern es irgendwann auch in die Tat umsetzt und sich als Teilzeit-Prostituierte des Nachmittags in einem Pariser Etablissement verkauft, dann ist das Glück des Voyeurs wohl perfekt.

Fünfzig Jahre nach seiner Erstaufführung liegt »Belle de jour« nun in einer digitalisierten Fassung vor und kommt, wie demnächst auch »Die Reifeprüfung« mit Dustin Hoffman, wieder ins Kino. Männern wird der Film immer noch gefallen. Und jedenfalls den Frauen auch, die »Belle de jour« für eine weibliche Selbstermächtigungsfantasie halten möchten: Brave Frau bricht aus, erfindet sich ein zweites Leben (ohne das alte deshalb aufzugeben!), lebt (zumindest stundenweise) nach ihren ganz eigenen Regeln (oder bildet sich das zumindest ein), und erschüttert den Ehemann in seinen Grundfesten, als ihm das irgendwann natürlich zugetragen wird.

Ähnlich wie »Die Reifeprüfung« ist auch »Belle de jour« kein angenehmer Film für den Betrachter. Lag es an den Zeiten, dass beide Filme von Missbrauch und Unterwerfung handeln? Halb repressiv und autoritär noch, die mittleren 60er Jahre, halb schon an der Kippe zu Aufbruch und Überschwang? Wobei »Belle de jour« der vergleichsweise zeitlosere Film ist, denn »Reifeprüfung« liest sich mit fünfzig Jahren Abstand nun wirklich nur noch wie ein (doppelter) Missbrauchsfilm. In Buñuels Männerfantasie ist der Missbrauch immerhin soweit selbstbestimmt, als dass Séverine (Deneuve) in ihr Bordell ja nicht zu gehen bräuchte - und man am Ende nicht einmal ganz sicher weiß, ob sie in Wahrheit nicht auch dieses Doppelleben nur für sich selbst zusammenfantasierte, und ihre graue, lange völlig sexfreie Ehe nicht eigentlich die ganze, alleinige und ausschließliche Wirklichkeit ihres Alltagslebens blieb.

Das Doppelleben zwischen makellosem Mäuschen und zu allem bereiter Männerfantasie jedenfalls kann, so es denn mehr als bloße Einbildung ist, zu keinem guten Ende führen - schon weil die Männer in Séverines Leben nicht verstehen, dass sie für diese Frau stets nur Erfüllungsgehilfen sind, keine Personen: der Ehemann, der ihr das Leben bietet, das ihr gebührt (auch wenn es sie zu Tode langweilt), der laszive Freund (Michel Piccoli), der sie im Bordell entdeckt und die Schraube ihrer selbstauferlegten Demütigung noch um ein paar Umdrehungen anzieht, und der Kriminelle (Pierre Clémenti), der zu ihrem Stammkunden wird, weil sie sich von ihm und seinem eklatanten Mangel an Umgangsformen so wunderbar besudelt fühlen kann.

Ein angedeuteter (oder möglicherweise auch schon nur fantasierter?) Missbrauch in Kindertagen in einem der Träume oder Flashbacks könnte den Grund abgeben für Séverines zwanghafte Selbsterniedrigungswünsche. Aber vielleicht ist das Suchen nach zwingenden Gründen auch ein viel zu rationaler Ansatz im Umgang mit einem Film, der zu den Alterswerken seines Regisseurs gehört - und nun schon seit einem halben Jahrhundert die Fantasien von Zuschauern anheizt, die sich an einer willigen Frau in Fesseln ergötzen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal