Aus der Bahn geworfen

Mecklenburg-Vorpommern: Nach Dömitz fährt längst kein Zug mehr - jetzt wurde das Stationsgebäude versteigert

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

»Meine Großmutter konnte von hier noch mit der Eisenbahn nach Berlin fahren«, erzählt der Opa seinem Enkel, als an der Haltestelle in Dömitz (Mecklenburg-Vorpommern) der Bus naht. Er bringt die beiden Wartenden innerhalb einer Stunde nach Ludwigslust, von dort geht es weiter per Bahn in die Hauptstadt. Großvaters Oma war auf den Bus nicht angewiesen. Sie kaufte sich zu ihrer Zeit eine kleine Pappfahrkarte im Dömitzer Bahnhof, wartete in ihm auf den Zug, stieg in einen Waggon dritter Klasse und dampfte ab in Richtung Ku‘damm und Tauentzien. Alles Geschichte, auch der einst stattliche Bahnhof unweit der Elbe. Mittlerweile könnte er als Kulisse für einen Spukfilm dienen.

Doch vielleicht haucht ein Investor dem arg ramponierten Backsteinbau neues Leben ein? Ist er doch dieser Tage im Amtsgericht Parchim bei einer Zwangsversteigerung für ganze 16 000 Euro in neue Hände gekommen. Angeordnet worden war das Verfahren, um 14 000 Euro Schulden des bisherigen Eigentümers zu tilgen. Der hatte das Bauwerk 2008 bei einer Versteigerung erworben.

Was der neue Besitzer mit dem Bahnhof und dem dazu gehörenden 12 000 Quadratmeter großen Grundstück machen möchte, ist bislang nicht bekannt. Klar ist: Züge werden dort nicht mehr starten.

Die ersten Loks dampften in Dömitz 1873, als die Schienenstrecke zwischen Berlin und dem niedersächsischen Buchholz nahe Hamburg vollendet war. Jener Weg führte via Lüneburg nach Dannenberg und überquerte wenige Kilometer später auf einer Eisenbahnbrücke die Elbe. Über Dömitz und Wittenberge ging es dann weiter bis nach Berlin.

Zum Sommersitz der Mecklenburgischen Großherzöge im 33 Kilometer entfernten Ludwigslust wurde erst 1889 ein am Dömitzer Bahnhof beginnendes Gleis verlegt. Auf ihm verkehrten zu DDR-Zeiten vier bis fünf Züge am Tag zwischen den beiden Städten. Und auch nach der Wende bot dieser Schienenweg eine willkommene Verbindung - bis der Gütertransport auf ihm Anfang 1997, der Personenverkehr im Mai 2000 eingestellt wurde. Zwei Jahre später demontierten Arbeiter die Gleise.

Die anderen Verbindungen von und zum Dömitzer Bahnhof waren schon viele Jahre zuvor gekappt worden. Am 20. April 1945 zerstörten US-amerikanische Bomber sowohl die Dömitzer Bahnbrücke als auch die nahe gelegene, 1936 gebaute Straßenbrücke über die Elbe.

Noch bis 1947 war die Strecke Dömitz-Wittenberge in Betrieb. Dann wurde sie stillgelegt, die Schienen kamen als Reparationsleistung in die Sowjetunion. Geraume Zeit blieben die ungenutzten Gleise zwischen Dannenberg in Niedersachsen und der Ruine der Bahnbrücke liegen, dann wurden auch sie fortgeräumt. Das Gleisstück von Lüneburg in Richtung Wendland ist nach wie vor in Betrieb. Es bringt Personenzüge bis zum Bahnhof Dannenberg und ist ausgebaut bis zur etwa 1000 Meter entfernten Verladestation für Atomtransporte in Castor-Behältern.

Die 1945 bombardierte Dömitzer Straßenbrücke ist 1992 durch eine neue ersetzt worden. Seinerzeit gab es auch Vorstellungen, die Eisenbahnbrücke zu erneuern und zumindest einen Teil der im 19. Jahrhundert befahrenen Strecke wieder herzurichten. »Zu teuer«, hieß es dann aber von mehreren Seiten - und das Ganze blieb eine Idee.

Nicht billig dürfte auch ein Restaurieren des seit langer Zeit leer stehenden Dömitzer Bahnhofs werden, ganz gleich, wie er künftig genutzt werden soll. Nicht nur der Zahn der Zeit hat an ihm genagt, auch zwei Brände haben ihm arg zugesetzt. Im August 2011 stand der Dachstuhl in Flammen, im Juni 2012 wütete ein Feuer in allen drei Etagen. Abrisspläne jedoch, falls sie denn gehegt werden, dürfte auf Widerstand bei den Behörden stoßen. Das Bauwerk steht unter Denkmalschutz.

Vielleicht aber nimmt das Ganze noch eine irgendeine Wende, denn: Wenn der »alte« Eigentümer des Bahnhofs bis zum 10. August seine Schulden bezahlt, wird die Zwangsversteigerung unwirksam.

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