Blassgelber Brite

Christopher Froome konnte sich nur dank seiner Helfer, aber ohne eigenen Etappensieg an der Tourspitze behaupten

  • Tom Mustroph, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das Klassement ist entschieden. Am Sonntag wird es keine Attacken gaben. Das ist eine Etappe für die Sprinter«, versicherte Chris Froome französischen Journalisten, die ängstlich nachfragten, ob Team Sky nicht versuchen würde, die eine Sekunde, die Mikel Landa auf Platz drei fehlt, noch gutzumachen. Dann wäre Romain Bardet, der aktuelle Liebling der Grande Nation, noch vom Podium geflogen. Aber Froome berief sich auf die ungeschriebenen Gesetze des Radsports, die Attacken am letzten Tourtag eben verbieten.

Diese Reste einer Ritterlichkeit schützen auf der anderen Seite auch Froome. Denn knapp ging es bei dieser Tour zu. So knapp, dass man sich doch einen Berg oder eine Straße mit einfallenden Seitenwinden auch auf der letzten Etappe gewünscht hätte. Die Kräfteverhältnisse waren so ausgeglichen, dass es Froome in diesem Jahr nicht gelang, die Konkurrenz zu beherrschen wie gewohnt. »Es war ein Kampf um Sekunden, ein paar hier, ein paar da. Man konnte nicht an einem einzigen Tag alles zermalmen«, charakterisierte er selbst diese Rundfahrt. Und er versuchte damit, den Makel, selbst keine einzige Etappe gewonnen zu haben, zu relativieren.

Da sind Froome die Traditionen nicht so wichtig. Ein Toursieger ohne eigenen Etappensieg sei problematisch, lautete etwa das Verdikt von Altmeister Eddy Merckx. Keine zehn Mal in der über 100-jährigen Geschichte hatte es einen solchen Fall gegeben. Eher selten ist auch, dass der Toursieger auf den Zweiten und auf den Dritten in den Bergen Zeit verlor. Kaum mehr als eine Handvoll Sekunden, gewiss, aber doch ein Zeichen, dass die Dominanz des Chris Froome nicht mehr so absolut war wie in den vergangenen Jahren. Neigt sich seine Ära deshalb dem Ende zu?

Er selbst sieht es nicht so. »Als Fahrer werde ich von Jahr zu Jahr besser«, meinte er auf der Pressekonferenz nach dem Zeitfahren am Sonnabend. Das meint nicht unbedingt seine physischen Kapazitäten. »Wir alle werden älter. Ich spüre das auch«, sagte er lächelnd. »Ich habe mich in den letzten Jahren aber in meinen Abfahrtsfähigkeiten verbessert und auch, was die Positionierung im Feld angeht. Und in Zukunft kann ich taktisch noch einiges lernen«, meinte er.

Dort also sieht er in den nächsten Jahren seine Vorteile. Und natürlich in seiner Zeitfahrstärke. In Marseille schien ihm nicht einmal auszumachen, dass die Arena des Velodroms ihn mit Pfiffen und Buhrufen auf die 22,5 Kilometer lange Zeitfahrstrecke schickte. Zwei Minuten zuvor, beim Start seines Kontrahenten Romain Bardet, entbrannte das Stadion noch in heißer Liebe.

Froome hatte diesen Unterschied mitbekommen. »Nein, ich bin den Leuten nicht böse. Wir starten hier im Herzen von Marseille, ein Franzose liegt nur 23 Sekunden hinter mir. Das kann ich verstehen«, so der Brite höflich. Er konnte sich die Höflichkeit auch leisten. Denn die Pfiffe und Buhrufe der Zuschauer waren die einzige Schwierigkeit, die er an diesem Tag zu überwinden hatte.

Eine knappe halbe Stunde später konnte er sich über seinen schönsten Moment freuen: »Vor der Einfahrt ins Stadion sah ich Bardet. Da wusste ich, wenn ich bei den letzten Kurven keinen Fehler mache, dann ist es das.« Froome hatte auf den Rivalen, der ihm in den Bergen am meisten zugesetzt hatte, fast zwei Minuten herausgeholt. Er erreichte dies zudem ohne die aerodynamischen Hilfsmittel am Trikot, die beim Auftakt in Düsseldorf für Kontroversen gesorgt hatten. Der Schneider des Gelben Trikots vom Hauptsponsor der Tour hat ins Material nicht die Verwirbelungsblasen eingearbeitet. Ob Froome deshalb hinter Michal Kwiatkowski zurückblieb und ob er sich gegenüber seinem Teamkollegen benachteiligt fühle, wollte der Brite nicht verraten.

Gut für die sportliche Wertigkeit des Zeitfahrens war, dass Bora-Profi Maciej Bodnar ganz ohne diese Verwirbelungselemente auf dem Trikot den Tagessieg mit einer Sekunde Vorsprung auf Kwiatkowski holte und damit die Bilanz seines Rennstalls aufbesserte. Nach dem Ausscheiden von Peter Sagan und Rafal Majka war das Team im Niemandsland des Pelotons versunken. Nicht einmal in 50 Mann starken Fluchtgruppen hatte das Team einen eigenen Fahrer unterbringen können. »Wir standen schon unter Druck«, gab Enrico Poitschke, sportlicher Leiter bei Bora, zu.

Das eigentliche Kennzeichen dieser Tour: Froomes Adjudanten überstrahlten den Chef. Geraint Thomas, der das erste Zeitfahren zum Tourauftakt in Düsseldorf gewonnen hatte, und Kwiatkowski waren bessere Zeitfahrer. Mikel Landa der bessere Kletter. Als »blassgelb« hatte »L’Equipe« die Leistung Froomes bewertet, als »strahlend weiß« hingegen die Performance der weiß gewandeten Helferschar. Der König wackelte, aber er ruckelte sich seinen Thron noch einmal zurecht. Das ist es, was von der Tour de France 2017 bleibt.

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