Perrudja, der Träumer

Hans Henny Jahnn

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Er war einer der großen deutschen Autoren, die im vorigen Jahrhundert schrieben. Aber er ist auch einer der seltsamsten und unbekanntesten geblieben. Welch Missverhältnis: Auf der einen Seite das enthusiastische Lob, Worte der Bewunderung von Brecht, Döblin, Huchel, Nossack, Bobrowski, Hans Mayer oder Botho Strauß, auf der anderen die totale Unkenntnis. Erst der (wenn auch flüchtige) Ruhm und dann die Ignoranz. Ein schwieriger, sperriger, vielseitiger Mann, Stückeschreiber und Romancier, Sektengründer und Orgelbauer, Hormonforscher, Landwirt und Tierzüchter, Friedensaktivist und Atomkraftgegner. Seine Prosa so schön und kühn wie monströs, so gewaltig wie verstörend. Er hat es Verlegern und Lesern nie leicht gemacht, wollte es auch gar nicht und hat trotzdem eine Gemeinde geduldiger und am Ende entzückter Leser gefunden, glücklicherweise in Hamburg auch einen Verlag (Hoffmann und Campe), der nach wie vor dafür sorgt, dass der in der Hansestadt geborene und dort auch gestorbene Hans Henny Jahnn (1894 - 1959) der Nachwelt nicht verloren geht.

Nach zwei Werksammlungen und der 2014 publizierten Neuausgabe des monumentalen Epos »Fluß ohne Ufer« liegt nun in einem Leinenband auch »Perrudja« wieder vor, Jahnns zweiter gewaltiger (und unvollendeter) Roman, neben Döblins »Berlin Alexanderplatz« das Ungewöhnlichste, was die deutsche Prosa, beeinflusst von James Joyce, 1929 zu bieten hatte. Im Mittelpunkt ein junger Mann, der einsam und ohne Kenntnis seiner Herkunft in der norwegischen Gebirgslandschaft lebt, ein Außenseiter, ein Träumer, der sich eines Tages ein Haus baut, riesig und luxuriös ausgestattet, sich ein Pferd zulegt, die »edelste Stute Norwegens«, und auf seinen Erkundungstouren auf Signe stößt, die Bauerntochter. Es gibt eine Hochzeit und einen Mord, gleich darauf die Trennung, und dann taucht ein Fremder auf, der Perrudja, den in seine Einsamkeit zurückgeworfenen Mann, für seine Pläne zur Welterneuerung gewinnen will. Es geht um Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Kolonisation und Rassendiskriminierung, den Traum vom neuen Menschen und die Zerstörung des kapitalistischen Systems.

»Perrudja«, schrieb Wolfgang Koeppen 1932, »ist eine große Dichtung gegen den Menschen und für den Menschen … Seine Gutheit kann so gewaltig sein wie seine Gemeinheit, und gefährlich wuchert das Denken auf dem Feld seiner Triebe und Instinkte.« Es war nicht nur für Koeppen ein außerordentliches Buch, wüst, berauschend, auch erschreckend, durchsetzt mit herrlichen und schaurigen Geschichten, einmalig in der Literatur. Jahnn, meinte Klaus Mann 1930 in seiner Rezension, »stand abseits von jeher« und gehöre zu einem »Reich von ungekannten, ungekrönten Fürstlichkeiten«. »Perrudja«, prophezeite er, werde ihn nicht populärer machen. Er hat recht behalten. Der Roman wartet noch immer darauf, entdeckt zu werden.

Hans Henny Jahnn: Perrudja. Hoffmann und Campe, 793 S., geb., 48 €.

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