G20: Ermittlungen gegen Polizisten nach Misshandlung

Beamte setzten Bus mit jugendlichen Demonstranten fest / Amnesty fordert umfassende Aufklärung von Grundrechtseinschränkungen

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach einer Festsetzung eines Busses mit Demonstranten der Jugendorganisation »Die Falken« beim G20-Gipfel in Hamburg ermittelt nach Informationen der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« nun die Staatsanwaltschaft gegen Polizeibeamte. Das habe ein Sprecher der Hamburger Polizei der Zeitung mitgeteilt, berichtete die FAS am Samstag.

Dem Bericht zufolge waren die teilweise minderjährigen Demonstranten, darunter auch Mitglieder der DGB-Gewerkschaftsjugend, der Grünen Jugend NRW und der Alevitischen Jugend NRW, Anfang Juli bei der Anfahrt zur Anti-G20-Großdemonstration am Samstag in Hamburg über Stunden ohne nähere Begründung von der Polizei festgehalten und anschließend in die Gefangenensammelstelle nach Hamburg-Harburg gebracht worden. Die Demonstranten wurden dort vier Stunden festgehalten und schlecht behandelt, wie die Jugendorganisation »Die Falken« in einem Offenen Brief Mitte Juli berichtet.

Obwohl die Anreise offiziell bei der Polizei angekündigt gewesen war, umstellten Polizeibeamte in Schutzausrüstung den Bus und kündigten eine Durchsuchung an, berichten die Falken. »In der GeSa angekommen wurden wir einzeln nacheinander heraus gebeten, und wurden durchsucht. Dabei war die Behandlung sehr unterschiedlich. Einige wurden neutral behandelt – andere wurden geschlagen, mit ihren Händen auf dem Rücken abgeführt oder ihnen wurden Handschellen angedroht. Einige der Jugendlichen mussten sich komplett nackt ausziehen (andere bis auf die Unterwäsche) und wurden dann intensiv abgetastet«, heißt es weiter in dem Offenen Brief.

Des Weiteren kritisieren die Falken, dass ihnen Anrufe bei Anwälten verweigert und einige der jungen Demonstranten in Zellen eingeschlossen worden seien. Die Falken haben bereits vor zehn Tagen eine Klage angekündigt. »Jugendliche, die in einem angemeldeten Bus zu einer angemeldeten Demonstration fahren, ohne Grund vier Stunden lang daran zu hindern, kann und darf nicht legitim und normal sein«, heißt es dazu.

Während der Sitzung des Innenausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft, der sich am 19. Juli mit den Vorgängen um den G20-Gipfel beschäftigt hatte, war der Fall angesprochen worden. Polizei und Innensenator Andy Grote hatten Fehler eingeräumt und sich bei den Betroffenen entschuldigt. Hamburgs Polizeipräsident Martin Meyer äußerte gegenüber FAS, dass es einen »Ablese- beziehungsweise Übertragungsfehler bei der Übermittlung des Kennzeichens« gegeben habe.

Amnesty fordert umfassende Aufklärung von Grundrechtseinschränkungen beim G20-Gipfel

Am Sonntag veröffentlichte zudem die Themenkoordonationsgruppe »Polizei und Menschenrechte« der Nichtregierungsorganisation (NGO) Amnesty International eine Stellungnahme zum G20-Gipfel in Hamburg. Darin fordert die Menschenrechtsorganisation die erfolgten Grundrechtseinschränkungen während der Gipfelproteste umfassend aufzuklären.

Die NGO erklärt in der Mitteilung, dass sie die Herausforderungen an die Polizei und Stadt Hamburg während der Gipfeltage anerkenne. Dennoch verlangt sie, den Vorwürfen von »unverhältnismäßiger Gewalt gegen friedliche Demonstrierende sowie Medienvertreter*innen«, die aus Presse- und Augenzeugenberichten hervorgehen, straf- und dienstrechtlich nachzugehen.

Amnesty International befürchtet, dass die Vorwürfe nicht aufgeklärt werden, da Beamte der Bundespolizei sowie zahlreichen Länderpolizeien keine individuelle Kennzeichnung tragen. Die NGO fordert die Bundesregierung sowie alle Landesregierungen, in denen die Polizei bisher noch nicht individuell gekennzeichnet ist, dazu auf, die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte umgehend einzuführen.

Sie verweist auf die Folgen fehlender unabhängiger Untersuchungsmechanismen für polizeiliches Fehlverhalten und auf die jahrelangen Forderungen des Menschenrechtsrats, der Humanistischen Union und des Deutschen Instituts für Menschenrechte an Deutschland polizeiunanbhängige Gremien einzurichten. »Sowohl die individuelle Kennzeichnung von Polizist*innen als auch unabhängige Untersuchungsmechanismen ermöglichen eine rechtsstaatliche Kontrolle der Polizeiarbeit, bei der strafrechtlich relevantes Fehlverhalten Einzelner gezielt aufgeklärt werden kann, ohne eine ganze Institution zu diskreditieren«, erklärt die Organisation.

»Dass der regierende Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) keine Polizeigewalt gesehen haben will und jegliche Kritik an der Polizeiarbeit als ›Denunziation‹ verunglimpft, ist aus Sicht von Amnesty International nicht nachzuvollziehen«, heißt es in der Stellungnahme der Menschenrechtsorganisation. In einem demokratischen Rechtsstaat müsse Kritik an staatlichem Handeln nicht nur möglich sein, sondern sie sei sogar erwünscht und notwendig. »Polizei und Politik als dessen Vertreter*innen sollten daher Kritik nicht pauschal abwehren, sondern sich konstruktiv damit auseinandersetzen und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen«, fordert Amnesty International anlässlich der Ereignisse rund um die Anti-G20-Demonstrationen.

Mehr als zwei Wochen nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen um den G20-Gipfel in Hamburg ist die Zahl der Ermittlungen gegen Polizisten gestiegen. In 41 Fällen lautet der Vorwurf auf Körperverletzung im Amt. Es geht zudem um Nötigung, sexuelle Belästigung, Beleidigung oder die Verletzung des Dienstgeheimnisses. Ein Internetportal sammelt Videos, die Polizeigewalt während des G20-Gipfels dokumentieren. Die Netzaktivisten, welche das Portal eingerichtet haben, bitten weiterhin Zeugen von fehlerhaftem Verhalten der Polizeibeamten, Informationen dort einzureichen.

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