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Mord und Mondreisen

Das Stummfilmfest mit Live-Musik im Babylon Mitte geht mit 50 französischen Filmklassikern in die achte Runde

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Kino hat französische Eltern - oder jedenfalls französische Väter. Dass eine Filmreihe mit sensationellen 50 großen Werken aus der französischen Stummfilmproduktion kein Programm mit Filmen der Brüder Lumière enthält, ist deshalb schade. Aber mit »Le voyage dans la lune«, der fantasievollen und auch recht farbenfrohen Mondreise aus der Wunderfabrik des Georges Méliès von 1902 ist der frühe Spielfilm höchst vergnüglich vertreten.

Ansonsten liegt das Augenmerk der Reihe eher auf den 20er Jahren als auf den Frühzeiten oder der ebenfalls bemerkenswerten französischen Filmproduktion der 10er Jahre. Kein Léonce Perret also, kein Léon Poirier, von dem man zumindest »La Brière« von 1924 hier gern gesehen hätte, seinen bretonischen Marschlandfilm - einer dieser Wasserwegefilme mit Booten, von denen es keinen einzigen zu geben scheint, der nicht eine jährliche Wiederaufführung wert wäre. Im Kontext wäre André Antoines »L’hirondelle et la mésange« von 1920 zu nennen, der vielleicht beste Kahn-Film aller Zeiten - auch eine Entdeckung, die einer zukünftigen Reihe vorbehalten bleibt. Aber mit Louis Feuillades fünfteiliger »Fantômas«-Adaption (1913/14) ist dafür eine besonders abgründige Kinoserie im Programm, voller Taschenspielertricks, Raub, Totschlag und Mord.

Es ist ein bemerkenswerter Überblick über die Produktivität und Vielfalt der französischen Filmindustrie in ihren frühen Jahren, die »Vive la France!« zehn Tage lang vor dem Berliner Publikum ausbreitet. Da sind einerseits die großen Literaturverfilmungen zu sehen, von Duviviers Kaufhaus-Drama (und später nachvertontem letzten Stummfilm) »Au Bonheur des Dames« nach Zola über die jüngste Restaurierung von Henri Fescourts tag- und abendfüllender Victor-Hugo-Adaption »Les misérables« (Die Elenden) von 1925 bis zu Jean Epsteins kongenial bizarrer Poe-Verfilmung »La chute de la maison Usher« (Der Fall des Hauses Usher) von 1928. Oder mit Sarah Bernhardt (steif und theatralisch) und Josephine Baker (die mit dem Bananenröckchen) zwei Antipoden weiblicher Rollenmuster im Film.

Der Experimentalfilm ist nicht nur durch den erwähnten Poe-Titel aus Epsteins reichem Werk vertreten. Von dem hätte man übrigens gern mehr gesehen, den absolut unvergesslichen Leuchtturmwärterfilm »Finis terrae« zum Beispiel (wie viele Filme gibt es schon, die um eine Tollwut-Infektion kreisen?) oder »La belle Nivernaise« nach Alphonse Daudet, noch so ein Kahn-Film, der jedes Wiedersehen lohnt. Mit Germaine Dulac ist auch die Mutter aller Experimentalfilmer vertreten, etwa mit dem Klassiker »La coquille et le Clergyman« von 1928 oder dem gern als proto-feministisch bezeichneten »La souriante Mme Beudet« (Das Lächeln der Madame Beudet) von 1923. Letzterer wird aber irgendwie nie so richtig feministisch, weil am Ende doch alles so trist und kleinbürgerlich weitergeht wie es angefangen hatte, und die tagträumende Gattin gefangen bleibt im Provinzalltag und der biederen Ehe mit ihren Nörgeleien hinter verschlossenen Türen.

Auch Jean Renoir, ebenfalls mit mehreren Filmen vertreten, steuert einen Experimentalfilm bei: In »Sur un air de Charleston« versucht Catherine Hessling, erst Modell von Maler Auguste Renoir, dann Ehefrau und Hauptdarstellerin von Sohn Jean, einem schwarzen (und auch noch schwarz geschminkten) Musiker Tanzen beizubringen. Hessling ist auch Star des Eröffnungsfilms »Nana« und außerdem die darbende kleine Zündholzverkäuferin in Renoirs »La petite marchande d’allumettes« nach Hans Christian Andersen. Renoirs eigentlicher Beitrag zum filmhistorischen Kanon kam aber erst mit den Tonfilmen, mit »Die große Illusion« und »Die Spielregel« von 1939.

Auch der Alltagspoet und frühere Kritiker Louis Delluc taucht mit mehreren Titeln auf: »L’inondation« (Die Flut) von 1924 mit seinen Rhône-Überflutungen sei hier besonders empfohlen. Der Film wurde Dellucs Vermächtnis - er verstarb an einer Lungenentzündung, die er sich bei den feuchten Dreharbeiten holte. Filmhochschulgründer Marcel L’Herbier ist ebenfalls mit mehreren Titeln vertreten, von denen die Pirandello-Verfilmung »Le feu Mathias Pascal« gänzlich unverzichtbar ist - und zudem der einzige (grandiose) Film mit Frankreichs exilrussischem Lieblingsstar Ivan Mosjoukine in der Reihe. Die brillante neue Restaurierung seines Theaterdramas »Kean« wird hoffentlich demnächst mal zu sehen sein.

3.-13.8, Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, www.babylonberlin.de

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