Sydney: Protest gegen Wohnungsnot im Luxusviertel

Was als provisorisches Camp gegen Obdachlosigkeit in Australiens größter Stadt geplant war, ist Dauerzustand geworden

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 3 Min.

»Für viele sieht eine Unterkunft in Sydney, die man sich leisten kann, so aus«, steht auf einem der über 50 Zelte, die derzeit auf dem Martin Place zwischen Parlament, Zentralbank und Designerläden stehen. In einer improvisierten Straßenküche brät eine Helferin gerade Würstchen. Gegenüber sitzt eine Gruppe auf leeren Milchkästen und unterhält sich. Kleidung hängt auf Ständern oder liegt auf Tischen.

Auf den ersten Blick erinnert das Camp mitten im Luxusviertel Sydneys an ein Jugendzeltlager. Doch über 60 Menschen haben in den Zelten eine Art Zuhause gefunden. Manche sind darunter, die sich einfach keine Wohnung mehr im teuren Sydney leisten können, wo eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Stadt etwa 1750 Euro kostet und selbst die nicht so teuren Stadtteile 1250 Euro für etwas Vergleichbares verlangen.

Zeltstadt eine »Schande« für Sydney

Den Politikern ist die Zeltstadt ein Dorn im Auge: Die Premierministerin des Bundesstaates New South Wales, in dem Sydney liegt, will das Camp auflösen und fordert den Einsatz der Stadt. Bürgermeisterin Clover Moore dagegen will, dass sich die Regionalregierung erstmal um mehr Sozialwohnungen bemüht. In einem Komplex stünden 77 Wohnungen leer, prangert sie auf sozialen Medien an. Familienministerin Pru Goward verteidigt sich auf ihrem Twitter-Account dagegen, dass ihre Mitarbeiter die Zeltstadt bereits 41 Mal besucht und allen Wohnungen angeboten hätten. Etwa 60 Leute hätten Angebote angenommen, andere sich jedoch verweigert, behauptet sie.

Ein konservativer Politiker nennt die Zeltstadt auf seiner Facebook-Seite gar eine »Schande« für Sydney und völlig »außer Kontrolle«. »Die Leute können nicht mehr ordentlich durchgehen und das soll Sydneys Haupt-Durchgangspassage sein«, schreibt Scott Farlow. In seinen Augen sei das Camp »eine politische Bewegung und keine echte Lösung für Obdachlosigkeit«.

Aktivisten verlangen Gesellschaft ohne Armut

Der Gründer der Zeltstadt, Lanz Priestley, wollte das Camp bewusst vor den Augen der Politiker, die nur wenige Meter weiter im Parlament auf der Macquarie Street tagen. Auf eine Wand haben er und andere Aktivisten die Parolen der Zeltbewohner geschrieben: »Das richtige Ziel ist es, die Gesellschaft so aufzubauen, dass Armut unmöglich ist«, steht da – ein Zitat von Oscar Wildes Aufsatz »Der Sozialismus und die Seele des Menschen«. Oder: »Ihr könnt eine Idee nicht vertreiben, deren Zeit gekommen ist.«

Priestley hat sich sein Leben lang für Obdachlose eingesetzt und hat als politischer Aktivist Häuser auf der ganzen Welt besetzt.

Familien bringen Pizzas

Priestley will den obdachlosen Menschen dagegen ein stabiles und würdevolles Leben geben. »Für sie sind die Zelte ein Problem«, sagt er über die Politiker. »Aber für die Leute in den Zelten ist es eine Unterkunft, die sie sich leisten können.«

Dem stimmt auch Steve zu. Er sei gerade aus dem Gefängnis raus, müsse ein neues Leben beginnen. In der Zeltstadt fühle er sich sicher und das Essen aus der Straßenküche sei ein Traum. Dem stimmt auch seine Nachbarin Mallissa zu, die ein Opfer häuslicher Gewalt ist. Beide schätzen vor allem die Unterstützung der Bevölkerung. »Familien bringen Pizzas für uns, andere stoppen auf einen Kaffee, die Gemeinde ist einmalig«, schwärmt Steve.

Umquartierte kehren zurück

Die Gemeinschaft und der Zusammenhalt sind es, die selbst ehemalige Bewohner immer wieder zurück ins Camp bringen, selbst wenn sie von den Behörden bereits eine Sozialwohnung oder ein Zimmer in einem Hotel angeboten bekommen haben. Ein älterer Mann erzählt, dass man ihn in einem Hotelzimmer untergebracht habe, dass er zum Essen und Plaudern aber trotzdem zurückkehre. Denn: Jeder sei hier willkommen, sagt der Rentner.

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