»Kein Verwertungsinteresse«

Ein Weddinger Haus verwahrlost, weil sich dessen Eigentümer nicht kümmert

  • Tim Zülch und Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus einer Plastiktüte, die in einem alten Kinderwagen steht, springt eine Ratte, huscht über den Hof und verkriecht sich unter einem Stapel aus Unrat. Eine weitere Ratte springt in einen Müllcontainer. Aus der defekten Regenrinne tropft das Wasser unkontrolliert auf den Hof, im Eingang steht eine knöcheltiefe Pfütze.

Aus einem der oberen Stockwerke schallt Kindergeschrei durchs Treppenhaus. Es liegen Papierfetzen, leere Dosen und Nussschalen auf dem Boden. Die meisten Wohnungstüren sind kaputt und stehen offen. »Die hat die Polizei aufgebrochen, als es gebrannt hat«, sagt eine Frau mit langen braunen Haaren und beigefarbener Weste, die aus einer der verlassen wirkenden Wohnungen kommt.

Mitte Juli brannte die Stromhauptleitung im Keller des Hauses an der Ecke Lüderitz- und Kameruner Straße. Daraufhin fiel die Stromversorgung aus. Der Betreiber des Cafés Fredericks musste den Betrieb vorübergehend schließen, genauso wie der afrikanische Frisiersalon Samura. Er sei »in einer sehr schlechten Stimmung«, sagt der Betreiber am Telefon. »Wir haben noch gar nicht richtig eröffnet, haben viel Geld in die Renovierung gesteckt und zahlen jeden Monat 450 Euro Miete. Aber ich kann nicht arbeiten, weil wir keinen Strom haben«.

Im dritten Stock öffnet eine Frau im gelben Wollpullover. Sie spricht etwas Deutsch. Ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen. Sie berichtet, dass kürzlich vor ihrer Wohnungstür mehrere Ratten waren und in den Wohnungen nach Futter gesucht haben. »Ich habe zwei Kinder, oben gibt es Babys. Die Ratten übertragen Infektionen«. Wegen des Stromausfalls habe es zwischendurch nur kaltes Wasser gegeben. Sie berichtet, dass sie seit rund einem Jahr hier wohne und einen Mietvertrag habe. Doch die Miete würde sie nicht überweisen, sondern es kämen Männer vorbei, manchmal türkische, manchmal albanische. Die würden wechselnde Beträge von ihr verlangen, »mal 900 Euro, mal 800«. Einmal seien sie gekommen und hätten 10 000 Euro verlangt, erzählt sie. »Das ist wie Mafia«, sagt sie und fügt an, »aber wo soll ich denn hin, ich finde keine andere Wohnung.«

Früher war das Eckhaus, das dem Berliner Immobilienbesitzer Santosh A. gehört und von außen einen durchaus ansehnlichen Eindruck macht, vornehmlich an Studierende vermietet. Doch als sich die Bedingungen verschlechterten, zogen viele aus, und eine Hausverwaltung mit Namen Renttel GmbH stellte Mietverträge hauptsächlich für bulgarische Familien aus - zumeist Roma. Rund 120 Menschen wohnen im Haus, davon etwa 50 Kinder. Teils sei eine ganze Familie in nur einem Zimmer untergebracht, berichtet Stephan Winkelhöfer, Integrationsbeauftragter des Bezirks Mitte, am Freitag. Eine Überbelegung, wie es weitergehen soll, liege noch nicht vor. Weitere Anmeldungen für das Haus über das Bezirksamt Mitte seien aber gestoppt worden.

Nach dem Brand hat sich der Bezirk des Hauses angenommen. Es gab Treffen mit Sozialarbeitern und dem Jugendamt, ein Schädlingsbekämpfer wurde gerufen, Müll entsorgt. Der Stromanschluss wurde nach Intervention des Bezirks beim Netzbetreiber Strom Berlin wieder hergestellt. Auch mit dem Eigentümer hat sich der Bezirk mittlerweile zusammengesetzt. Der habe dieses und weitere Häuser in den 1950er Jahren geerbt, die alle mit der Zeit verwahrlosen. Ein Geschäftsmodell vermutet Winkelhöfer nicht dahinter. Der Eigentümer zeige stattdessen »kein Verwertungsinteresse«. Seit Ende März sei die Hausverwaltung verschwunden und das Haus in der Lüderitzstraße verkomme immer mehr. Der Bezirk habe Anzeige gegen die Firma erstattet. Zwei Nachfolgefirmen hätten sich um die Eintreibung der Miete gekümmert. »Seit August gibt es aber niemanden, an den man die Miete zahlen kann«, so Winkelhöfer.

»Wir hoffen, das Haus retten zu können«, sagt er. Der Bezirk setze jetzt auf tägliche Präsenz. Das Jugendamt sei mehrmals pro Woche vor Ort und spreche mit den Bewohnern. Schwierig sei, dass die zum Teil misstrauisch gegenüber staatlichen Stellen seien. Viele Bewohner seien zudem Analphabeten. Offizielle Schreiben könnten sie meist nicht lesen.

Schnell lösen lässt sich das Problem nicht. Diese Woche seien wieder Ratten aufgetaucht, berichtet Winkelhöfer. Die Feuchtigkeit der vergangenen Wochen habe die Substanz geschädigt. Nun soll sich die Bauaufsicht gemeinsam mit dem Eigentümer, der Caritas und einer städtische Wohnungsbaugesellschaft das Haus anschauen.

Um bei solchen Fällen bessere Handhabe zu haben, fordert der Bezirk vom Senat nun eine Art Vor-Ort-Beauftragten, der zusammen mit Polizei, Gesundheits- und Finanzamt die Sachlage erkunden und gegebenenfalls mehr Druck auf Vermieter ausüben kann. Außerdem müsse endlich die Möglichkeit einer »treuhänderischen Verwaltung« zum Beispiel über städtische Wohnungsbaugesellschaften geschaffen werden. Mit zwei landeseigenen Unternehmen sei man für das Haus in der Lüderitzstraße bereits im Gespräch.

Verkaufen will Santosh A. nicht. Allerdings habe er sich offen für den Vorschlag gezeigt, das Haus durch ein landeseigenes Wohnungsunternehmen verwalten zu lassen, sagt Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne).

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