Risiko für Probanden steigt

Bei Medikamententests drohen schwere Nebenwirkungen vor allem in der ersten Phase von Studien

  • Christoph Zeiher
  • Lesedauer: 3 Min.

»Du brauchst eine Auszeit in einer schicken Umgebung und möchtest mal so richtig verwöhnt werden?« Mit Sätzen wie diesen werben viele Jobportale im Internet für Medikamententests. Die Angebote richten sich oft an Studenten oder Selbstständige: »Wir sind gesund, jung und brauchen die Kohle«, ist auf einer der Seiten zu lesen.

In Deutschland sind freiwillige Probanden gefragt. Nur in den USA werden noch mehr klinische Studien von Pharma-Unternehmen durchgeführt als hierzulande. Nach Angaben des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) liegt Deutschland mit einer Beteiligung an 532 Studien, die im vergangenen Jahr begonnen wurden, deutlich vor Großbritannien mit 499 und Frankreich mit 390.

Die Bandbreite der Tests reicht dabei von ambulanten Studien für 50 Euro bis zu mehrwöchigen Klinikaufenthalten, für die Probanden schon mal bis zu 6000 Euro erhalten. Die Tests sind ein gewaltiger Markt. Nach eigenen Angaben investieren Pharma-Unternehmen in Deutschland etwa 5,8 Milliarden Euro pro Jahr in Laborforschung und klinische Studien.

Lukrative Angebote winken vor allem bei sogenannten Phase-I-Studien. Dabei werden die Arzneimittel an gesunden Probanden getestet, um sie auf mögliche Nebenwirkungen zu überprüfen. Allerdings sind die Risiken dabei nicht zu unterschätzen. »Phase-I-Tests werden immer gefährlicher«, sagt Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD. Immer häufiger würden Medikamente getestet, die auf den Immunmechanismus wirkten und dadurch zu schwerwiegenderen Nebenwirkungen führen könnten als andere Mittel.

Diese Gefahr sieht auch Wolfgang Becker-Brüser vom Fachmagazin »Arznei-Telegramm«. »Die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs hat in den letzten Jahren einen beträchtlichen Aufschwung erlebt«, erklärt er. »Je komplexer und je innovativer ein Wirkprinzip ist, desto weniger kalkulierbar ist das tatsächliche Risiko für die Probanden.« Auf Nachfrage bestätigen auch die Arzneimittelhersteller ein »erhöhtes Risikopotenzial« durch derartige Medikamente.

Dramatische Auswirkungen hatte ein derartiges Mittel bereits im Jahr 2006: Nach einem Phase-I-Test in Großbritannien schwebten damals mehrere Probanden in Lebensgefahr. Bei dem Mittel handelte es sich um ein Medikament, das in das Immunsystem eingreifen sollte. Noch dramatischer verlief im vergangenen Jahr eine Studie in Frankreich. Dort starb ein freiwilliger Proband an den unvorhergesehenen Nebenwirkungen eines komplexen Testpräparats.

Das US-Unternehmen Parexel, das die Studie in Großbritannien damals durchführte, hat auch einen Forschungsstandort in Berlin. Zu seiner Arbeit in Deutschland will sich das Institut auf Nachfrage nicht äußern. Man beruft sich auf US-amerikanische Vorschriften: »Wir sind ein amerikanisches Unternehmen und haben strikte, zum Teil auch gesetzliche (amerikanische) Vorgaben«, heißt es in einer Antwort.

Bislang ist es in Deutschland nicht zu ähnlich schweren Zwischenfällen wie in Frankreich oder Großbritannien gekommen. Mehr als 100 000 gesunde Freiwillige haben nach Behördenangaben hierzulande in den vergangenen elf Jahren an klinischen Tests teilgenommen - stets im Rahmen hoher Sicherheitsstandards, wie die Verantwortlichen betonen. Bevor eine Studie in Deutschland durchgeführt werden kann, muss sie entweder vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder vom Paul-Ehrlich-Institut genehmigt werden.

Zusätzlich muss eine Ethik-Kommission jedes Projekt absegnen. »Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels ist ein mit Blick auf die Probanden- und Patientensicherheit hochgradig regulierter Prozess«, versichert ein Sprecher des BfArM.

Genaue Daten über die Probanden gibt es nicht. Für die meisten Phase-I-Studien sollte man aber kerngesund sein und genügend Zeit mitbringen - sprich jung sein und keine 40- Stunden-Woche haben. Auch Angehörige oder potenzielle Patienten seien immer wieder beteiligt, meint Annette Dufner vom Institut für Wissenschaft und Ethik an der Uni Bonn. Für viele bleibt jedoch der finanzielle Anreiz ausschlaggebend. dpa/nd

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