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Trump-Flüchtlinge in Québec

Die Angst treibt immer mehr Migranten aus den USA nach Kanada

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Erst Notunterkünfte im Olympiastadion von Montreal, nun eine eilig von 100 Soldaten hochgezogene Zeltstadt für 500 Menschen in Saint-Bernard-de-Lacolle, unmittelbar an der Grenze zum NATO-Partner USA: In der französischsprachigen Provinz Québec bemühen sich die Behörden mit Sondermaßnahmen, einer zuletzt massiv angestiegenen Zahl von Flüchtlingen aus dem Nachbarland Herr zu werden. Die Angst vor Donald Trumps erbarmungsloser Einwanderungspolitik treibt sie in das als liberal geltende Kanada. Hatte Premierminister Justin Trudeau doch in scharfer Abgrenzung zum Rechtspopulisten im Weißen Haus kurz nach dem ersten Einreisestopp des US-Präsidenten Ende Januar erklärt, dass sich sein Land natürlich weiter als humanitärer Fluchtort verstehe: »An all jene, die vor Verfolgung, Terror und Krieg fliehen: Die Kanadier werden Euch willkommen heißen, unabhängig von Eurem Glauben«, schrieb der Regierungschef damals auf Twitter. »Vielfalt ist unsere Stärke.«

Ein Offizier, von der Reporterin der »Daily Mail« in Saint-Bernard-de-Lacolle zu seiner aktuellen Aufgabe befragt, brachte es militärisch knapp so auf den Punkt: »Das ist eine Frage der nationalen Sicherheit.« Er gehe nicht davon aus, dass der Strom der Flüchtlinge in nächster Zeit abebben werde. Wie die zuständigen Behörden mitteilten, habe sich die Zahl der Asylsuchenden an der Südgrenze des Landes allein seit Mitte Juli verdreifacht. In den ersten sechs Monaten seien mehr als 4300 Menschen registriert worden; die meisten von ihnen stammten aus Haiti, aber auch Somalier und Jemeniten seien darunter.

Haitianer genießen nur noch bis Ende des Jahres einen geschützten Status in den USA. Den hatte man nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 rund 60 000 Menschen aus dem Karibikstaat gewährt. Der haitianische Außenminister Antonio Rodrigue führte in dieser Woche in Montreal Gespräche über seine Landsleute. Francine Dupuis von der kanadischen Regierungsbehörde Praida, die Neuankömmlingen in ihren ersten Monaten hilft, schätzt, dass in der Großstadt im Juli fast 1200 Asylsuchende aus den USA eingetroffen seien. Wie sie dem Sender CBC berichtete, habe man im ganzen Vorjahr dagegen lediglich 180 Menschen betreut. Inzwischen kommen Tag für Tag rund 200 Asylsuchende. Anfang August wurde deshalb das für die Sommerspiele 1976 errichtete Olympiastadion vorübergehend in eine Notunterkunft verwandelt. Bis zu 450 Betten würden in dem wohl markantesten Wahrzeichen der Stadt aufgestellt, berichtete CBC unter Berufung auf Praida.

Bürgermeister Denis Coderre begrüßte die Neuankömmlinge auf Twitter und versprach ihnen »volle Unterstützung«. Montreal hatte sich im Februar wie viele Metropolen in den USA zur »Sanctuary City« erklärt, einer Zufluchtsstadt, in der Flüchtlinge beispielsweise Krankenhäuser oder Schulen ohne Angst vor Verfolgung aufsuchen können. Allerdings ist noch längst nicht ausgemacht, dass die Betroffenen tatsächlich als Flüchtlinge eingestuft werden. Laut Einwanderungsministerium akzeptierte Kanada z.B. im Vorjahr nur 50,5 Prozent aller Asylgesuche von Menschen aus Haiti. Vor einigen Tagen warnte das Ressort auf seiner Facebook-Seite vor illegalen Grenzübertritten. Unter Flüchtlingen kursierende Berichte, wonach man Asylsuchende ins Land einlade, seien einfach falsch. Ein Offizier der Royal Canadian Mounted Police in Saint-Bernard-de-Lacolle, der lieber ungenannt bleiben wollte, sprach gegenüber der »Daily Mail« für die Trudeau-Kritiker im Lande: »Sie wissen ja, wer gesagt hat, dass alle willkommen sind. Doch wir können nicht alle aufnehmen. Irgendwann müssen wir aufhören, der Fußabtreter zu sein.«

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