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Polens Präsident wird erwachsen

Ein Gesetz der umstrittenen Justizreform tritt in Kraft, gegen zwei weitere hatte Präsident Duda sein Veto eingelegt

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Samstag tritt ein Gesetz der polnischen Justizreform in Kraft, gegen die Zehntausende protestiert hatten. Zwei weitere Gesetzte der konservativen Regierung sind an dem Ende Juli von Staatspräsident Andrzej Duda eingelegten Veto vorerst gescheitert. Seitdem fragen sich an der Weichsel viele Medien, ob sich der Schützling von Jaroslaw Kaczynski nun endlich von seinem Ziehvater gelöst habe. »Wird er sein Gesicht wiedererlangen?«, fragte das Wochenmagazin »Newsweek Polska«. »Nichts ist mehr so, wie es mal war. Duda sorgt im rechten Lager für Aufruhr«, hieß es in der »Gazeta Wyborcza«.

Doch ist dies tatsächlich der Anfang vom Ende des Regierungslagers? In jedem Fall hat sich in den vergangenen Wochen im politischen Warschau etwas verändert. »Duda hat erstmals den Menschen zugehört. Dies war seine erste Mutprobe und die hat er teilweise bestanden«, sagte Jacek Pochlopien, Chefredakteur des Wochenmagazins »Wprost«, der sich auch an dem Protest vor dem Präsidentenpalast beteiligte. Tatsächlich glauben viele Polen, Duda habe den legislativen Großangriff von Kaczynski vorerst gestoppt.

Als sich die regierende PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) 2016 das Verfassungsgericht unter den Nagel gerissen hatte, stimmte der Präsident dem Unterfangen noch zu. Dies verschaffte ihm den Beinamen »Podpisacz« (Unterschriften-Lieferant). Als sich nun die Regierungspartei zu einem weiteren Frontalangriff auf die höchsten Instanzen der Gerichtsbarkeit entschloss, kam es Ende Juli auf der hauptstädtischen Prachtstraße Krakowskie Przedmiescie zu einer Welle des Protests. Kurz zuvor hatte die PiS alle drei Entwürfe der Justizreform durch die beiden Kammern der Nationalversammlung - Sejm und Senat - forciert in der Hoffnung, sie noch vor den Sommerferien vom Staatsoberhaupt absegnen zu lassen.

Erstmalig protestierten vor dem Präsidentenpalast viele junge Menschen, denen man kaum vorwerfen kann, dass sie - so bis dahin der Tenor der Regierung - um ihre »Leichen im kommunistischen Keller« fürchteten. Die vom Justizministerium vorbereiteten Gesetzesentwürfe schlugen darüber hinaus in ganz Europa hohe Wellen und ließen sich nicht mehr als unwesentliche Schönheitsfehler ausgeben. Das zeigte offenkundig Wirkung. Duda hat den zwei wichtigsten der drei Gesetze den Riegel vorgeschoben: jenem zur Beschneidung des Obersten Gerichts (SN) und jenem zur Entlassung aller Richter im Landesrichterrat (KRS).

Das Gesetz zur Reform der allgemeinen Gerichtsbarkeit unterschrieb er aber. Die oppositionellen Parteien befürchten, dass sich der Präsident mit seinem Veto lediglich ein wenig Luft verschaffen wollte, die kontroversen Justizgesetze jedoch in einigen Wochen trotzdem fast unverändert durchgepeitscht werden. »Nach den Sommerferien liegt das Thema wieder auf dem Tisch und dann wird Duda kaum noch einmal seine Einwände äußern«, meinte Wladyslaw Kosiniak-Kamysz, Vorsitzender der Bauernpartei PSL. »Die Regierungspartei wird einfach weitermachen. Diese ganze Veto-Geschichte ist doch mit dem PiS-Chef abgesprochen«, meinte auch Katarzyna Lubnauer, Fraktionsvorsitzende der Partei Nowoczesna.

Diese Argumentation stößt auf das Unverständnis regierungsnaher Journalisten. »Wenn Duda die PiS-Gesetze unterschreibt, ist er in den Augen der Opposition allenfalls ein ergebener Diener der Regierung. Wenn er protestiert, hat seine Entscheidung einen doppelten Boden. Die PO und Nowoczesna werden nie zufrieden sein«, ärgerte sich Kamila Baranowska von der Wochenzeitung »Do Rzeczy«.

Der Veto-Schock ist auch im PiS-Lager spürbar, dem Duda eigentlich nahe steht und dessen Vorstöße er bisher stets mit milden Stellungnahmen bedacht hatte. Kaczynskis Ergebene reagierten nervös. Während Außenminister Witold Waszczykowski völlig unbeholfen die Demonstranten als »Terroristen« bezeichnete, glaubte Innenminister Mariusz Blaszczak in den Lichtermeeren vor dem Palac Namiestnikowski eine Ansammlung von »Spaziergängern, Touristen und Naiven« erkannt zu haben.

Die Überraschung ist verständlich. Noch einige Tage vor dem Veto hatte Dudas Mitarbeiter Andrzej Dera versichert, dass sein Chef alle drei Gesetze unterschreiben werde. Hat der Präsident nur deswegen gezögert, weil ihn die jungen Demonstranten beeindruckt haben? Weil seine Tochter Kinga, eine Jura-Studentin, einer Gruppe an der Krakauer Jagiellonen-Universität angehört, die sich energisch gegen die geplante Justizreform wendet? Nein. Ähnliche Proteste haben ihn vorher schließlich auch nicht davon abgehalten, umstrittene Gesetze zu unterschreiben.

Es ist vielmehr so, dass die polnische Regierung nicht nur aus unberechenbaren »enfants terribles«, wie Macierewicz und Ziobro besteht, sondern auch aus besonnenen Analytikern, wie dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki oder Jaroslaw Gowin. Sie fanden bei Duda Gehör. Gowin, einst selbst Justizminister in der Regierung Tusk und heute Hochschulminister im Kabinett Szydlo, wies das Staatsoberhaupt darauf hin, dass in der polnischen Rechtsgeschichte noch nie ein Justizminister derart in die Ernennung von Richtern eingegriffen hätte. Zudem beschränkten die Gesetzesentwürfe nicht zuletzt auch die Rechte des Präsidenten selbst, so Gowin.

Ähnliche Worte wählte Duda dann auf seiner Pressekonferenz. Gowin und Duda kennen sich noch aus Krakauer Zeiten. Auch der heutige Justizminister Zbigniew Ziobro, das Gesicht der umstrittenen Reform, stammt aus Kleinpolen und war Dudas Freund. Die durch das präsidiale Veto ausgelöste Eruption im Lager der PiS ist nicht zuletzt auch ein Machtspiel zwischen diesen beiden Rivalen. »Ohne Ziobro würde Duda heute nicht dort sein wo er ist«, versichert der Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk. In der Tat war Ziobro Dudas Förderer, später emanzipierte sich Duda.

Er begrüßte zwar die harte Gangart seines früheren Kollegen, als aber die geplante Justizreform die präsidialen Privilegien einzuschränken drohte, war Schluss. Einen solchen politischen Einfluss auf die Unabhängigkeit der Gerichte konnte selbst der gutwilligste Präsident nicht mehr mit dem herkömmlichen Begriff der Demokratie vereinbaren. »Im Präsidentenpalast entsteht eine neue Bewegung, die ein freundlicheres Gesicht hat als PiS und Kaczynski. Sie kann für den Chef der Regierungspartei äußerst gefährlich werden«, schreibt der Ex-Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz in der Zeitung »Rzeczposolita«.

Der Riss zwischen dem Hardliner Ziobro und dem Präsidenten wird immer deutlicher. Die Fehde um die Justizreform ist zudem nicht der erste Versuch Dudas, seine Machtposition zu stärken. So regte er eine Diskussion über eine Verfassungsänderung an, die dem Staatsoberhaupt mehr Rechte einräumt. Und als die PiS ein Gesetz durchboxen wollte, das eine stärkere Kontrolle der Haushaltsplanung der lokalen PO-Regierungen in den Woiwodschaften vorsah, legte Duda auch hier sein Veto ein.

Es ist eine Emanzipation, der Kaczynski im übrigen beipflichtet. In dem katholischen Fernsehsender »TV Trwam« beteuerte der »Präses«, Dudas Veto sei ein »Fehler« gewesen, jedoch müsse er die Entscheidungen des ersten Mannes im Staate akzeptieren. »Kaczynski weiß, dass auch Duda eine Neuausrichtung der polnischen Gerichtsbarkeit möchte und sie wohl kaum verhindern wird. Dass sie nicht übereilt unterschrieben wurde, wird auch der promovierte Jurist Kaczynski insgeheim begrüßt haben«, erklärt der Publizist Pawel Lisicki. Obgleich die Bürgermeisterin der Hauptstadt, Hanna Gronkiewicz-Waltz (PO), zuletzt wieder den Jahrestag des Warschauer Aufstands dazu nutzte, um für mehr Demokratie zu werben, kann sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Mehrheit der Polen eine gerechte Justizreform will.

Die Lichterketten der Regierungskritiker in den Großstädten überstrahlen in den Medien die Haltung vieler Polen in der Provinz. Laut Umfragen unterstützt mehr als die Hälfte der Gesellschaft eine eingehende Reform der Gerichtsbarkeit. Und wäre diese von einem anderen Minister als Ziobro vorbereitet worden, hätte Duda vermutlich die Gesetze bereits unterschrieben.

Der Präsident hat inzwischen erkannt, dass sein früherer Förderer aus Krakau eine Reizfigur ist, die auch in der Provinz die Wählerschaft oft von einem Urnengang abschreckt. Die PiS hat ihre absolute Mehrheit nicht einer großen Zustimmung für Ziobro zu verdanken, sondern den Kapriolen des polnischen Wahlsystems sowie dem Umstand, dass sie während des Wahlkampfs den heutigen Justizminister sorgsam versteckt gehalten hat.

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