»Etliches sieht grundübel aus«

Max Frisch im Interview: Vierzehn Gespräche und ein Plädoyer für die »stille Subversion«

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.

Zu den Leuten, die an keinem Mikrofon vorbeikommen, ohne sich bemerkbar zu machen, gehörte er nicht. Max Frisch mochte keine Interviews. Eigentlich. Er wollte nicht immer dieselben Fragen beantworten, nicht noch einmal bekennen oder erklären müssen, was längst bekannt oder erklärt worden war. Je berühmter er wurde, desto häufiger hat man ihn freilich um Auskunft gebeten, Auskunft über sich, seine Bücher, die Schweiz, die Welt. Er hat selten Nein gesagt.

Aus der enormen Fülle solcher Gespräche hat Thomas Strässle jetzt für den Suhrkamp-Verlag einen Band mit vierzehn Texten zusammengestellt, die »auch für ein heutiges Publikum von Interesse sind«. Für Frisch waren es eher Nebensachen. Aber wahrscheinlich hat er rasch gemerkt, dass ein Interview, das ihm Direktheit ermöglicht und Spontaneität erlaubt, auch enorme Vorteile hat. Und wie man nun sehen kann, sind diese Gespräche nicht bloß schönes Beiwerk. Über den politischen Frisch etwa wird man ohne diese Publikation schwer urteilen können.

Den Rahmen der Auswahl bilden Texte von 1934 und 1989. Das erste Gespräch, einst gedruckt in der »Neuen Zürcher Zeitung«, ist ein wunderliches, fingiertes Interview, das sich um »Jürg Reinhart«, den ersten Roman des jungen Autors, dreht. Kein Wort darin stammt von Max Frisch. Verfasst hat es der angesehene und einflussreiche Eduard Korrodi, Feuilletonchef des Blattes, der sich hier, angetan von diesem Debüt, nur »der Andere« nennt und in einem Nachsatz die stille Hoffnung äußert, »dass der Autor, seinem Namen treu, etwas Erfrischendes im künftigen Schrifttum werde«.

Am Schluss der Sammlung äußert sich der sichtlich gealterte Frisch, »behindert durch Asthma, schweres Asthma«, noch einmal zur Schweiz und der eigenen, langsamen Entwicklung »von einer kleinbürgerlichen apolitischen Haltung weg zum Aufklärerischen, zum Sozialismus hin«.

Einmal mehr fällt auf, wie intensiv sich Max Frisch früh für gesellschaftspolitische Fragen interessiert hat. Der Krieg war noch nicht lange zu Ende, als er sich auf eine »kleine deutsche Reise« begab. Er lief durch zerstörte Städte: Frankfurt am Main, München, Nürnberg, Würzburg. Er fuhr nach Italien und Frankreich. Er besuchte Theresienstadt, Prag und das geschundene Warschau. Ringsum, auch in der Schweiz, bemühte man sich, rasch zu vergessen.

Frisch widersetzte sich diesem Trend und geriet in den bald anbrechenden Zeiten des Kalten Krieges in Verdacht, die Sache der anderen Seite zu betreiben. Für die Schweizer Bundesbehörden war der Fall klar. Sie legten ein Dossier über den »Kommunistenfreund« an, und noch in den achtziger Jahren wurden sie nicht müde, dem berühmten Bürger hinterherzuschnüffeln. Frisch, kurz vor seinem Tod mit den Geheim-Dossiers konfrontiert, reagierte betroffen. Die Schweiz, schrieb er, sei ein »verluderter Staat«.

Er hat, wie man inzwischen weiß, schon in den Kriegsjahren Ansichten vertreten, zu denen andere erst viel später kamen. Man hat es kaum zur Kenntnis genommen. Max Frisch: Das war der wunderbare Stückeschreiber und glänzende Erzähler. Selbst das große Werkstattgespräch, das Horst Bienek 1961 mit ihm führte, dreht sich ausschließlich um Literatur, ums Theater, ums Fernsehen, um Stückfabeln und die Romane, zuletzt um den damaligen Wohnort Rom. Ein paar Seiten weiter in diesem Band heißt es dann aber schon: »Wir müssen unsere Welt anders einrichten.«

Da äußert sich Frisch, 1967 interviewt vom Journalisten und Buchautor Alfred A. Häsler, über den Hass, berührt Antikommunismus, Rassenkonflikte in den USA, Sechs-Tage- und Vietnamkrieg. Sieben Jahre später, gefragt, ob er angesichts der Weltlage auf die Vernunft oder ein Wunder hoffe oder eher glaube, dass alles so weitergehen werde wie bisher, wird Frisch sagen: »Der große Nachteil in den kapitalistischen Ländern liegt doch darin, dass sie keine Zielvorstellungen größerer Art haben. Der Nachteil der sozialistischen Länder liegt dagegen darin, dass sie zwar eine solche Zielvorstellung haben, dass sie sich aber systematisch davon entfernen.«

Je älter Frisch wurde, desto entschiedener und kritischer wurde er. Wenn er in die Zeitung blickte, vornehmlich das große Züricher Blatt, dann sah er, wie im Feuilleton »so eine Liberalität blüht …, und in derselben Ausgabe werden ein paar Eidgenossen kriminalisiert, weil die in der Tat einer linken Partei angehören, einer legalen Partei«. 1986, als Frisch 75 wurde, hielt er in Solothurn eine Rede, die er mit dem Satz überschrieb: »Am Ende der Aufklärung steht das Goldene Kalb.« Im Gespräch über diese Rede und die Frage, was Kunst bewirken könne, erinnerte er an Brecht, der hoffte, ohne ihn säßen die Herrschenden sicherer. Aber bald nach Brechts Tod war er im Teatro de Milano »umgeben von Nerz und Diamant, von Verunsicherung kein Hauch; ob Galilei oder Figaro oder Woyzeck oder Puntila, ein Schmaus«.

Resignierte er? Frisch widersprach. Er halte es für erlaubt, »nicht zu verheimlichen, wenn man am öffentlichen Verstand verzagt. Etliches in der heutigen Welt … sieht grundübel aus«. Er plädierte für eine »stille Subversion«, für Widerstand. Den Kapitalismus als System, hat er 1989, im letzten Interview des Bandes, noch einmal bekräftigt, lehne er »ganz eindeutig« ab.

Max Frisch: »Wie sie mir auf den Leib rücken!« Interviews und Gespräche. Hg. von Thomas Strässle, Suhrkamp, 237 S., geb., 22 €.

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