Unter Abtreibungsgegnern

Martin Leidenfrost erwischte als eingebetteter Beobachter beim »Marsch fürs Leben« in Bukarest die langweiligste Losung

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass die Migrationsfrage Europa spaltet, lesen wir jeden Tag, doch ist da mindestens noch ein Thema, bei dem einander Westeuropa und Osteuropa so fremd sind wie zwei Planeten: Abtreibung. Im Westen ist das Recht auf Abtreibung durch. In Berlin kam der »Marsch für das Leben« nie über 6.000 Teilnehmer hinaus. Der Wiener »Marsch fürs Leben« zog dieses Jahr nur wenige hundert Pro-Lifer an, während die Regenbogenparade am selben Junitag 185.000 Menschen, den Kanzler und zwei Parteivorsitzende lockte. In vielen Ostländern ist das Verhältnis umgekehrt: 2015 demonstrierten im 423.000 Einwohner zählenden Bratislava 70.000 Menschen »für das Leben«. Meinungsumfragen in diesen Ländern zeigen Mehrheiten für eine deutliche Einschränkung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch.

Ich sah mir die Bewegung in Bukarest an. Rumänien zählt zu religiösesten Ländern Europas, drei Viertel der Rumänen nennen sich gläubig. 44 Prozent behaupten, täglich zu beten, 21 Prozent jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Die Abtreibungsrate ist dabei drei Mal so hoch wie in der alten EU-15.

Der »Marşul pentru viaţă« startete auf dem vieleckigen »Platz der Einheit« im verkehrsumtosten Park. Es dominierte der Typ junge fromme Maus mit flachen Schuhen und langem Rock. Etliche Priester, Senioren, Familien. Kaum Leute zwischen 45 und 65, die von Ceausescus Abtreibungsverbot betroffenen Jahrgänge. Auch wenn man bedachte, dass gleichzeitig in weiteren 285 rumänischen Städten demonstriert wurde, war der Zulauf mittel. Die befreundete »Koalition für die Familie« hatte drei Millionen Unterschriften dafür gesammelt, die gleichgeschlechtliche Ehe in der Verfassung zu verbieten. Die Studentinnen, die den Marsch organisierten, plagten sich mit ihrer 100 Meter langen Schlange aus bunten Luftballons.

Ich lauschte, wie die Organisatorin Interviews gab. Sie sagte stets dasselbe: Fünf christliche Kirchen unterstützen uns. Wir sind nicht für ein Abtreibungsverbot, sondern wollen Mama und Kind Unterstützung demonstrieren. Eine zivilisierte Lösung für Frauen unter Druck. Eine Botschaft der Solidarität, eine Botschaft der Unterstützung.

Die berichtenden Journalistinnen, durchwegs attraktiver, stellten einen kulturellen Fremdkörper dar. Kurze Röcke, ein halbgeschorener Lockenschopf, ein Tanga-Slip. Eine ließ ihren Kameramann Menschenleere im Vordergrund filmen, dann ging sie mit furchtsam-überlegenem Lächeln weg. Ich selbst ging als eingebetteter Beobachter mit. Die Organisatorinnen verteilten Kartons in einem Kinder-Bastel-Stil. Ich bekam den langweiligsten: »Hilf Mama und Kind! Sie sind abhängig von dir.« Lieber hätte ich gehabt: »Frauen verdienen mehr als eine Abtreibung.« Erst spät ergatterte ich die passende Losung: »Wahre Männer wählen das Leben.«

Einige Autofahrer hinter den Straßensperren hupten wütend, nur die Kellner eines türkischen Döner-Restaurants standen solidarisch Spalier. Auf dem langen hässlichen Cantemir-Boulevard wartete eine böse Überraschung. In der Nacht waren Hauswände und eine Kirche entlang der Marschroute besprüht worden: »Recht auf ein Leben ohne Kinder!«, »Sexualerziehung verhindert Abtreibung«, »Meine Fotze, meine Entscheidung«, »Rumänisch-orthodoxe Kirche, raus aus meiner Fotze!« Die vielleicht 5000 Abtreibungsgegner schritten ruhig und ernst dran vorbei.

Es endete vor der Bühne im »Park der Jugend«. Die Moderatorin versuchte einen Sprechchor für den Live-Einstieg ins Staatsfernsehen anzustiften: »Sind wir die Generation fürs Leben?« Das »Ja« fiel matt aus, diese Leute waren unerfahrene Demonstranten. Es folgten persönliche Reden von zwei Frauen, ein Konzert »Live for Life« und Reden von Vertretern der fünf Kirchen.

Am Tag darauf las ich die Zeitungen. Es wurde gefragt, warum sich die Orthodoxe Kirche »versteckt« habe. Die Interviews der Organisatorin wurden nirgends zitiert. Als Aufmachung diente, dass am Ende Gigi Becali an der Spitze des Marsches aufgetaucht war, ein frisch aus der Korruptionshaft entlassener Unternehmer. Becali wurde mit dem Satz zitiert, dass nur Satanisten Sexualerziehung in der Schule wollten. Das Qualitätsblatt »Adevărul« nannte es einen »immensen Skandal«, dass in einer der 285 Städte Religionslehrer zur Teilnahme angehalten wurden. Das größte Boulevardblatt »Libertatea« zitierte ein naives Mütterchen. Sie sei mitmarschiert, weil »ich glaube, was mir der Pfarrer sagt«.

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