Hausnotruf: Anbieter muss im Ernstfall Rettungsdienst rufen

Urteile im Überblick

  • Lesedauer: 6 Min.

Stöhnt der Nutzer eines Hausnotrufsystems nach Drücken der Notruftaste minutenlang in die Notrufanlage, sollten die Mitarbeiter unbedingt den Rettungsdienst rufen. Unterlassen sie diese Hilfsmaßnahme, dann muss der Anbieter des Notrufsystems beweisen, dass er aufgetretene Gesundheitsschäden bei dem Hilfebedürftigen nicht zu verantworten hat. So urteilte der Bundesgerichtshof am 11. Mai 2017 (Az. III ZR 92/16).

Notruftaste gedrückt, aber schnelle Hilfe versagt

Der BGH verhandelte in einem tragischen Haftungsfall, in den die Johanniter Unfallhilfe verstrickt war. Konkret ging es um einen 78-jährigen schwer kranken Mann, der bis April 2012 allein in einer Wohnung im Seniorenwohnheim lebte. Er litt an zahlreichen Beschwerden wie Atemnot, Herzrhythmusstörungen, Diabetes und Bluthochdruck, und es bestand ein stark erhöhtes Schlaganfallrisiko.

Um im Notfall schnelle Hilfe beanspruchen zu können, hatte der Mann mit der Johanniter Unfallhilfe einen Hausnotrufvertrag geschlossen. So konnte er per Knopfdruck die Hausnotrufanlage aktivieren. Mitarbeiter des Notdienstes können sich dann mit dem Hilfesuchenden verständigen und je nach Bedarf einen Schlüsseldienst, einen Rettungsdienst oder einen Arzt rufen.

Im April 2012 drückte der Senior die Notruftaste. Der Mitarbeiter in der Zentrale des Dienstes hörte jedoch minutenlang nur ein Stöhnen. Als dann mehrere Telefonanrufe scheiterten, wurde ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes und später ein weiterer Beschäftigter in die Wohnung geschickt. Sie fanden den Mann auf dem Boden liegend, richteten ihn auf und ließen ihn dann allein. Den Rettungsdienst verständigten die Männer nicht.

Schadenersatz und Schmerzensgeld rechtens

Erst zwei Tage später fanden Angehörige den 78-Jährigen. Er war halbseitig gelähmt und hatte eine Sprachstörung. In der Klinik wurde ein bis zu drei Tage zurückliegender Schlaganfall diagnostiziert.

Der Mann meinte, dass die Hausnotrufmitarbeiter für diese Gesundheitsschäden verantwortlich seien. Hätten sie rechtzeitig einen Rettungswagen gerufen, wären gravierende Folgen vermieden worden.

Das bestritt jedoch die Johanniter Unfallhilfe. Sie lehnte die Zahlung von Schadenersatz und eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 40 000 Euro ab. Weil der Mann mittlerweile verstorben ist, machten die Erbinnen die Ansprüche geltend.

Der BGH urteilte nun, dass der Hausnotrufdienst seine vertraglich vereinbarten Schutzpflichten »grob vernachlässigt hat«. Zwar sei der Dienst nicht für den Erfolg von Rettungsmaßnahmen verantwortlich, er sei aber verpflichtet, unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung zu vermitteln.

Genau das sei hier unterlassen worden. Die Johanniter Unfallhilfe habe von den Vorerkrankungen und dem Schlaganfallrisiko gewusst. Als der Mitarbeiter in der Zentrale den Notruf entgegennahm und das minutenlange Stöhnen hörte, hätte er den Rettungsdienst informieren müssen.

Diese grobe Fahrlässigkeit führe ähnlich wie im Arzthaftungsrecht zu einer Beweislastumkehr, befanden die Richter. Der Anbieter des Notrufdienstes muss danach beweisen, dass die Gesundheitsschäden auch dann eingetreten wären, wenn er alles richtig gemacht hätte. Das Kammergericht Berlin muss diesen Sachverhalt nun noch einmal prüfen. epd/nd

Wer zahlt Helmtherapie bei Säuglingen?

Krankenkassen müssen für Säuglinge mit einem asymmetrischen oder deformierten Kopf nicht für die Kosten der sogenannten Helmtherapie aufkommen. Für die neue Behandlungsmethode gebe es noch keine Empfehlung des zuständigen Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen.

Das geht aus einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Mai 2017 (Az. B 3 KR 30/15 R, Az. B 3 KR 17/16 R und weitere) hervor.

Bei der Therapie erhalten Säuglinge mit einem asymmetrischen Schädel einen speziellen Helm, der den Kopf wieder in Form bringen soll. Dabei wird an bestimmten Stellen ein Freiraum gelassen, in den der Kopf hineinwachsen kann. Bei geringen Verformungen soll der Helm bis zu drei Monate täglich 23 Stunden getragen werden. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Behandlungskosten jedoch nicht.

In den vom Bundessozialgericht entschiedenen Fällen wollten mehrere Eltern die Kostenerstattung für die Helmtherapie gerichtlich erstreiten. Die Therapiekosten betrugen zwischen 1300 und 2000 Euro.

Das BSG entschied jedoch, dass die Krankenkassen nicht leistungspflichtig sind. Bei leichten Asymmetrien handele es sich nicht um eine Krankheit, in schweren Fällen mit Krankheitswert gebe es anerkannte Behandlungsmethoden durch Lagerungs- und Physiotherapien.

Die Helmtherapie stelle eine »neue Behandlungsmethode« dar, für die es aber keine positive Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses gebe. Nur mit einer entsprechenden Bewertung dürfen die Krankenkassen die Kosten für Therapien übernehmen. epd/nd

Hartz-IV-Empfänger muss zurückzahlen

Weil er die Größe seines Hauses nicht korrekt angegeben hat, muss ein Hartz-IV-Empfänger aus Rheinland-Pfalz etwa 75 000 Euro an das Jobcenter zurückzahlen.

Der alleinstehende Mann hatte erklärt, sein Eigenheim habe eine Wohnfläche von unter 100 Quadratmetern. Nach einigen Jahren habe sich jedoch herausgestellt, dass die Fläche tatsächlich etwa 130 Quadratmeter betrage. Damit habe der Immobilienbesitzer zu Unrecht Hartz-IV-Leistungen bezogen.

Der Mann bewohnte das Haus selbst, vermietet aber auch kleine Teile davon. Zwar sei selbst genutztes Eigentum an sich beim Hartz-IV-Bezug vor einer Verwertung geschützt, allerdings nur, sofern es nicht »unangemessen groß« sei. Alleinstehenden wird in der Regel eine Wohnfläche von 90 Quadratmetern zugebilligt.

Das Jobcenter forderte von dem Mann die gezahlten Leistungen zurück. Das bestätigte das Sozialgericht Koblenz mit Urteil vom 27. April 2017 (Az. S 14 AS 656/15). Der Mann habe diese Sozialleistungen aufgrund falscher Angaben erhalten. Deshalb sei »sein Vertrauen in den Bestand der getroffenen Entscheidungen nicht schutzwürdig«, so das Urteil. epd/nd

Hartz IV: Abstottern des Mietkautionsdarlehens unzumutbar

Jobcenter dürfen von Hartz-IV-Beziehern, die in finanzieller Not sind, nicht pauschal verlangen, dass sie ein erhaltenes Mietkautionsdarlehen jahrelang vom Arbeitslosengeld II abstottern. In atypischen Ausnahmefällen muss die Behörde auch andere Alternativen der Mietkautionsgewährung in Betracht ziehen.

Das entschied das Landessozialgericht (LSG) Hamburg mit Urteil vom 18. Mai 2017 (Az. L 4 AS 135/15).

Im konkreten Fall ging es um eine Hartz-IV-Bezieherin, die viele Jahre wohnsitzlos und süchtig war. Zeitweise stand die Frau unter Betreuung. Als sie schließlich doch eine Bleibe fand, zahlte ihr das Jobcenter für die Mietkaution 1200 Euro. Diesen Betrag sollte sie 30 Monate lang mit zehn Prozent ihrer Regelleistung zurückzahlen.

Die Frau meinte, dass die Behörde ihr damit unnötig Steine in den Weg lege. Müsse sie die Kaution über viele Monate abstottern, komme es zu einer dauerhaften, nicht mehr hinnehmbaren Belastung und sie könne ihren Grundbedarf nicht mehr decken.

Das LSG gab der Frau im Grundsatz Recht. Zwar sei es zumutbar, dass Hartz-IV-Bezieher mit Schulden in Form eines Mietkautionsdarlehens belastet werden. Allerdings müsse das Jobcenter in atypischen Ausnahmefällen seinen Ermessensspielraum nutzen und Notlagen berücksichtigen. Das sei hier unterlassen worden.

Es habe erheblicher Unterstützungsbedarf bestanden, der zeitweise sogar bis zur Einrichtung einer Betreuung ging. Bei dieser prekären Lebenssituation treffe es die Frau besonders hart, wenn sie 30 Monate lang das Darlehen abstottern müsse.

Das Jobcenter hätte daher Alternativen in den Blick nehmen müssen. So hätte die Kaution als Darlehen gewährt werden können, welches erst wieder bei Auszug zurückzuzahlen sei. Diese Möglichkeit sei aber gar nicht geprüft worden. Mittlerweile bezieht die Frau Sozialhilfe. Ob das Sozialamt nun für die Mietkaution aufkommen muss, war nicht zu entscheiden. epd/nd

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