Torsten Gellert (Havanna, 1961)

Unbekannte Bekannte

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Ende der Blockade war nicht abzusehen, schon den dritten Tag verhinderten die Amerikaner jeglichen Schiffsverkehr nach und aus dem Hafen von Havanna, an Bord unseres Frachters wusste keiner, wann wir auslaufen würden. Dazu kam, dass unser Funker die Kunde verbreitet hatte, quer durch Berlin sei eine Mauer gebaut worden - was wir kaum glauben konnten. Hier, weit von Europa unter kubanischer Sonne, erschien uns eine solche Tat total unwirklich. Mit Einwilligung des Kapitäns und dem Ja-Wort von Torsten Gellert, dem 2. Ingenieur, hatte ich unbezahlten Urlaub genommen und war an Land unterwegs, als ich erfuhr, dass Gellert ein vom Haken abgestürztes Maschinenteil am Fuß getroffen hatte und ihm ein Gipsverband angelegt werden musste: Pech für diesen stets aktiven Mann - und das in einer Stadt, wo es nur so vor Leben brodelte. Gleich brach ich meine Pläne ab und ging an Bord zurück. Ich verdankte Gellert viel. Seit ich zu seiner Crew gehörte, hatte er mir nur Malerarbeiten zugewiesen und mich so vor dem Gestank und der Hitze im Maschinenraum bewahrt: ein ungeheures Privileg! Auch eins ihm selbst gegenüber, denn Gellert schuftete dort unten so hart wie seine Crew. Er war ein verdammt gut aussehender Mann, hochgewachsen, breitschultrig, mit blondem Bart, dichtem Blondhaar und klarem Blick. Mich beeindruckte, was damals in einer Stettiner Hafenkneipe seine schiere Präsenz für ein Aufsehen erregt hatte. Nach einer Nacht voll Krach und Wonne war er mit der schönsten Frau verschwunden - eine vollbusige, blonde Polin in einem roten Kleid. Die hatte nur für ihn Augen gehabt, hatte jeden Tanz nur mit ihm getanzt, dicht an ihn geschmiegt und zu ihm aufblickend. Ob sie verstand, was er zu ihr sagte? Wohl nicht, wie wir merkten. Doch Worte hatten die beiden nicht nötig.

Als ich jetzt, zurück an Bord, an seine Kammertür klopfte und er »herein« rief, fand ich ihn in seiner Koje hockend, den eingegipsten Fuß vorgestreckt, dabei alles andere als betrübt. »Hallo, Bruderherz«, rief er, »wie läuft’s in Havanna?« - »Prächtig«, sagte ich, »nur du fehlst.« Er winkte ab. »Werd schon noch dazustoßen«, versicherte er, »am besten machen wir das zusammen.« Er zeigte auf die Krücke in einer Ecke der Kammer: »Du und ich und das Ding da.« So kam es, dass wir am gleichen Abend noch von Bord gingen, er geschickt mit der Krücke, sich wenn nötig auf mich stützend. Zum Nachtlokal Tropicana brauchten wir kein Taxi, zwei Milizionäre lasen uns schon im Hafengelände auf und fuhren uns zum Herzen Havannas.

Dort angekommen, riefen sie: »Alemana Oriental«, schlugen uns auf die Schulter und brausten davon. Im Tropicana wurde uns kein Eintrittsgeld abverlangt, man vermutete Seeleute aus Ostdeutschland, und es half, dass einer von uns mit Krücke ging. Wie selbstverständlich wies man uns einen Zweiertisch zu, Rum und Coca Cola wurden spendiert, und bald war uns, als spiele die Band nur zu unserem Gaudi. »Wer sagt’s denn!«, rief Gellert. Natürlich zeigten wir uns spendabel, steckten dem Bandleader und der Kellnerin Pesos zu und bei der Stimmung, die herrschte, der Bühnenshow, die geboten wurde, den feurigen Tanzeinlagen, war unser Geld gut ausgegeben.

Von Anbeginn hatte am Nebentisch eine schöne goldbraune Kubanerin auf Gellert ein Auge geworfen, wobei mir gleich die Polin aus Stettin einfiel und ich ihm klarmachte, er brauche sich an mich nicht gebunden zu fühlen. Er zuckte die Schultern und wies auf seinen vergipsten Fuß. Die Kubanerin sah das und rief ermunternd: »Nada!« - »Sieh an«, sagte ich zu Gellert. Der ließ der Kubanerin einen bunten Cocktail in hohem Glas bringen, und die Nacht war noch jung, als sie sich an unseren Tisch gesellte. Gellerts Gipsfuß ignorierte sie. Blond und kräftig, fröhlich und freigiebig, schien er vollends ihren Wünschen zu entsprechen. Sie brauchten sich nur anzusehen, kaum ein Wort zu wechseln, und es wunderte mich nicht, dass für Gellert die Nacht so endete wie die in Stettin - ich sah ihn ins Dunkel tauchen, ein wenig mühsam mit der Krücke und, dicht an seiner Seite, die schönste Frau im Saal …

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