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Der Linkswähler, das unbekannte Wesen

Im Vergleich jünger, eher an Gerechtigkeit interessiert, gar nicht soweit weg von sozialdemokratischen Anhängern: Was in neueren Studien steht

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

»Enttäuschte Pessimisten«, so nennt »Zeit online« die Anhängerschaft der Linkspartei – auf der Basis von Zahlen des Instituts YouGov. In zwei Sätze gegossen lautet da die Bilanz: »Wähler der Linkspartei verdienen eher schlecht und sind wütend auf die Politik, Banken und die USA. Am wichtigsten sind ihnen sozialpolitische Themen.«

Doch ein Vergleich mit anderen Studien zeigt, so einfach ist die Sache nicht. Das geht schon mit den Einordnungen nach demografischen Gruppen los.

Während YouGov etwa per Umfrage ermittelte, dass unter den Wählern der Linkspartei mit 14 Prozent deutlich weniger Jüngere bis 29 Jahre sind als im Durchschnitt (17 Prozent), fiel das Ergebnis bei einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung DIW unlängst genau umgekehrt aus: Dort bezifferte man den Anteil der bis 29-Jährigen in der Anhängerschaft auf 18 Prozent – das ist nicht nur mehr als im Durchschnitt (15 Prozent), sondern liegt auch klar über den Zahlen von Union, SPD, FDP und der Rechtsaußentruppe AfD. Nur die Grünen waren laut der DIW-Zahlen genauso »jung«, der Anteil der bis zu 29-Jährigen in ihrer Anhängerschaft lag also auch bei 18 Prozent.

Eine Ursache könnte die Datenbasis sein: Während YouGov für seine Zahlen eine vergleichsweise kleine Stichprobe online befragte, wertete das DIW Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage und des Sozio-ökonomischen Panels aus. Die dortigen Zahlen sind zwar etwas älter, lassen aber Vergleiche zu den Anhängern anderer Parteien zu.

Bleiben wir beim Alter. Es stimmt natürlich, dass ein großer Anteil der Wähler der Linkspartei schon über 50 Jahre alt ist, laut YouGov-Umfrage liegt der Anteil bei 59 Prozent, das sind fast zwei Drittel. Aber wie sieht es bei den anderen Parteien aus? Und wie hat es sich in den letzten Jahren entwickelt?

Laut DIW-Daten liegt die Linkspartei mit ihrer Anhängerschaft eher im Durchschnitt. 44 Prozent der Wähler sind laut den Berliner Forschern 55 Jahre und älter. Unter den linken Anhängern liegt der Anteil dieser Altersgruppe bei 43 Prozent, und damit deutlich niedriger als bei Union (47 Prozent) und SPD (49 Prozent) – die Grünen kommen in dieser großen Altersgruppe nur auf 35 Prozent, die FDP mobilisiert vergleichsweise am meisten unter den ab 55-Jährigen, die machen über die Hälfte ihrer Anhängerschaft aus.

Ein Aspekt, der hier anzumerken ist: Die Anhängerschaft der Linkspartei ändert sich – so wie ihre Mitgliedschaft. Erst vor wenigen Tagen freute sich der Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn: »Wir wachsen im vierten Quartal in Folge. 3517 Menschen sind im ersten halben Jahr beigetreten.« Und nicht nur das: Mehr als zwei Drittel der Neumitglieder sind unter 35. Der Anteil der Schüler und Studenten unter der Anhängerschaft ist laut DIW zwischen 2000 und 2016 von sechs auf acht Prozent gestiegen – kein Riesensprung, aber eine Tendenz.

Diese drückt sich auch in den jüngeren Wahlergebnissen aus, wo die Linkspartei vor allem in urbanen Gegenden punktete. Die Erfolge waren meist dann noch ausgeprägter, wenn es dort akademische Umfelder gibt – also Hochschulen angesiedelt sind. Laut der YouGov-Umfrage liegt der Anteil der Anhänger mit Abitur bei 34 Prozent, das ist deutlich über dem Durchschnitt der anderen Wählerschaften. Bezieht man noch DIW-Zahlen darüber mit ein, wo die Anhänger der Linkspartei wohnen, werden Umrisse eines großstädtisch-akademischer werdenden Milieus erkennbar. 40 Prozent derer, die die Linkspartei bei Wahlen bevorzugen, wohnen in Städten mit über 100 000 Einwohnern; ein Viertel sogar in Großstädten mit über einer halben Million Bewohnern.

Das Durchschnittsalter der Anhänger der Linkspartei hat sich zwar von 2000 bis 20016 von 48 Jahren auf etwas mehr als 50 Jahre erhöht. Der Anstieg liegt aber unter den Gesamtzahlen, im Vergleich etwa mit den Grünen fiel er deutlich geringer aus – die Wählerschaft der Ökopartei »alterte« in diesem Zeitraum laut DIW von durchschnittlich 40 auf gut 48 Jahre. Die Anhänger von Union und SPD (beide im Schnitt fast 53 Jahre) sind nicht nur älter als die der Linkspartei, sondern auch älter als der Durchschnitt – während die Wähler von Linkspartei und Grünen im Vergleich jünger sind als der Gesamtdurchschnitt.

Und die Sache mit dem Osten? Die Linkspartei hat einen großen Teil ihrer Wählerbasis immer noch in den »neuen Ländern« – laut DIW leben dort gut 40 Prozent der Anhänger, knapp 60 Prozent wohnen im Westen. Das ist ein markanter Unterschied zum Bevölkerungsschnitt, laut dem über 80 Prozent der Bundesbürger in den »alten Ländern« lebt.

YouGov hat für seine von der »Zeit« veröffentlichte Zahlen auch nach Einstellungen und Meinungen gefragt. Unter den Anhängern der Linkspartei glauben demnach 70 Prozent, die Welt werde schlechter – im Schnitt aller Wähler sind es 58 Prozent. Mit ihrem Lebensstandard sind die Wähler der Linkspartei weniger zufrieden als der Durchschnitt, sie haben eher eine schlechte Meinung von Politikern und fühlen sich nicht angemessen vertreten. Sie sind in der Gesamtsicht weniger nationalistisch, sehen den Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern skeptischer, gut die Hälfte von ihnen hält die USA für »die größte Bedrohung für den Weltfrieden« – bei den Wählern anderer Parteien sind es 39 Prozent. Auf dem Feld der Familienvorstellungen geben sich die Linkenanhänger moderner, bei der Einschätzung der Finanzwirtschaft kritischer.

Gefragt wurde auch danach, welche Themen für die Wahlentscheidung in diesem Herbst am wichtigsten sind – und da zeigt sich die Anhängerschaft der Linkspartei laut YouGov-Zahlen ganz eindeutig: Fragen der Gerechtigkeit sind das zentrale Argument. Soziale Absicherung, Rente und Gesundheit liegen auf den ersten drei Plätzen der wahlentscheidenden Themen. Danach folgen Bildung und öffentliche Sicherheit, die Flüchtlingsfrage rangiert eher im Mittelfeld. Interessant an der YouGov-Umfrage: Die Außenpolitik spielt da für linke Wähler eine untergeordnete Rolle, Netzpolitik und Digitalisierung interessieren für die Wahlentscheidung nur wenig.

Auch bei der Frage der persönlichen Lageeinschätzung ist ein Vergleich mit den DIW-Zahlen möglich – und damit einer mit den Wählerschaften der anderen Parteien. Laut DIW waren die Wähler der FDP am zufriedensten, gefolgt von denen der Union, der Grünen und der SPD. Deutlich geringer war die Zufriedenheit bei den Unentschlossenen sowie bei denen, die eine Wahl der Linkspartei bevorzugen.

»Diese Reihenfolge entspricht ziemlich genau der bei den bedarfsgewichteten Nettoeinkommen«, schreiben die Berliner Forscher. Und sie verweisen auf einen weiteren Aspekt: Die Beurteilung der eigenen Lage hängt auch damit zusammen, »ob die Befragten glauben, einen gerechten Anteil am Lebensstandard zu erhalten oder nicht«.

Unter den Anhängern der Linkspartei sieht sich laut DIW-Daten etwa die Hälfte hinsichtlich ihres Lebensstandards ungerecht behandelt, der Wert liegt etwa auf dem Niveau des Anteils bei den Nichtwählern. Knapp 60 Prozent der Anhänger der Linkspartei schätzten ihre wirtschaftliche Lage allerdings als gut oder sehr gut ein.

Laut YouGov sind über 60 Prozent der Anhänger der Linkspartei der Meinung, es gebe zwischen »den großen Parteien« keine großen Unterschiede mehr. Eine solche Sicht liegt im Trend, auch unter den Anhängern anderer Parteien tendiert die Zahl Richtung zwei Drittel.

In den Reihen der Linkspartei-Anhänger dominiert deshalb auch eine Sicht auf die eigene bevorzugte Partei, die dieser besondere Eigenschaften zuspricht: Sie stehe zu ihren Überzeugungen, habe die richtigen Zukunftsideen, sei anders als die anderen. Das drückt sich auch in einem Distanzdenken aus; alle Parteien des konservativen und rechten Lagers machen die Anhänger der Linken eher wütend, von deren Zielen und Politikern sind sie tendenziell überhaupt nicht begeistert.

Für Grüne und Sozialdemokraten trifft das in geringerem Maße zu, »die Distanz zur SPD ist trotzdem groß«, heißt es bei YouGov. Aber trifft das auch auf die politischen Einstellungen der Wählerschaften der beiden Parteien zu, sind diese sich auch so fremd? Eher nicht.

Gefragt nach bestimmten Einschätzungen, etwa zur Rolle des Staates in der Wirtschaft, der sozialstaatlichen Absicherung und der Umverteilung, der EU-Politik und der Migration, liegen die Sichten der Anhänger von SPD und Linkspartei laut YouGov kaum auseinander.

Über die Frage, wie die Politik der jeweiligen Parteien zusammenpassen würde, geben die YouGov-Zahlen natürlich keine Auskunft. Mag sein, dass die Anhängerschaften eher zur Kooperation finden würden als die Politiker.

Die Frage, wie sich die »richtigen Ideen für die Zukunft« verwirklichen lassen, interessiert die Anhänger der Linkspartei jedenfalls – das lässt sich aus der YouGov-Umfrage schließen. Danach gefragt, ob sich die Linkspartei »gut durchsetzen« könne, antwortete nicht einmal ein Drittel ihrer potenziellen Wähler mit Ja.

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