Neue Partei gegen den Brexit geplant

Der Konservative James Chapman mobilisiert gegen den Austritt aus der Europäischen Union

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Brexit ist eine Katastrophe, Boris Johnson gehört wegen seiner Lügen ins Gefängnis.« Kein EU-Diplomat behauptet das, auch keiner von Labours vielen EU-Freunden. Sondern James Chapman, ein eingefleischter Konservativer und ehemaliger politischer Redakteur der Brexit-freundlichen Boulevardzeitung »Daily Mail«. Mehr noch: Chapman hat ein ganzes Jahr lang als Sonderberater von Brexit-Minister David Davis gedient.

Chapman kennt die Probleme beim britischen EU-Austritt und plant nun gar die Gründung einer neuen Mitte-Partei namens »Die Demokraten«, um ihn noch zu verhindern. Dabei will Chapman die ausdrückliche Unterstützung von zwei, bisher allerdings namenlosen Tory-Kabinettsmitgliedern haben. Er behauptet zudem, dass »einige sehr interessante Menschen« bei der Parteigründung im nächsten Monat dabei sein wollen.

Der Brexit werde Leben zerstören, meint Chapman. Britische Touristen würden auf medizinische Behandlungen in Europa verzichten müssen, riesige Laster-Parkplätze müssten wegen neuer Grenzkontrollen in der Nähe von Hafenstädten angelegt und dafür Häuser reihenweise abgerissen werden. Ein Jahrzehnt von Austeritätskrisen sei unvermeidlich, weil Firmen das Land verlassen und ihre Steuern dem Staat fehlen würden. Es fehlt in dieser Erzählung nur noch die Beulenplage.

Dabei ist Chapman ein Insider par excellence, er kennt das Wirken der Staatsmaschine und die Tücken seiner bisherigen Parteifreunde. Einige Punkte sieht er durchaus realistisch, zum Beispiel, dass es nach der Parlamentswahl für einen harten Brexit wohl keine Unterhaus-Mehrheit gibt. Chapmans Rat, den Platz im Europäischen Wirtschaftsraum - mit der EU, Norwegen und der Schweiz - nicht zu verlassen, ist durchaus im Interesse der britischen Industrie und ihrer Exporte. Ein Bündnis von Brexit-Gegnern aller Fraktionen sei imstande, dies durchzusetzen, sofern die EU mitmacht. Aber: Politischer Berater einerseits und Parteichef andererseits sind unterschiedliche Positionen, bei allen guten Vorsätzen fehlt Chapman jede Durchsetzungserfahrung. Mögliche Parteiwechsler wie die desillusionierte ehemalige Tory-Bildungsministerin Nicky Morgan haben schon ihre Teilnahme bei der Neugründung abgesagt.Und dass beispielsweise Tony Blair bei aller Ähnlichkeit der Ideen unter einem Grünschnabel wie Chapman dienen würde, ist eher unwahrscheinlich.

Als die Liberaldemokraten bei der Parlamentswahl den Exit vom Brexit durch ein zweites Referendum nach Bekanntwerden der Austrittsbedingungen versprachen, brachte ihnen dies lediglich drei zusätzliche Mandate ein. Labours Spagat in der Brexit-Frage wurde dagegen mit 30 Zusatzmandaten belohnt.

Und schließlich: Die geplante Partei ausgerechnet »Demokraten« zu nennen, wenn sie ohne zweite Abstimmung die Entscheidung der Bürger in dem ersten Referendum missachten und ungeschehen machen will, ist nicht nur nach Meinung des rechten Tory-Abgeordneten und Brexit-Anhängers Jacob Rees-Mogg ein starkes Stück.

Ein letzter Gesichtspunkt betrifft das britische Mehrheitswahlrecht, das neuen Parteien das Leben erschwert. Bei der Parlamentswahl 2015 bekam beispielsweise die rechte UKIP dreieinhalb Millionen Stimmen, aber übers ganze Land verstreut, sie erzielte nur in einem Wahlkreis die Mehrheit und hatte damit nur einen Sitz im Unterhaus. In den 1980er Jahren wurde die Sozialdemokratische SDP von vier ehemaligen Labour-Kabinettsmitgliedern und mehr als 30 Abgeordneten gegründet. Im Jahr 1990 war diese Neugründung schon wieder verschwunden.

Und falls Chapman doch Erfolg haben sollte, stellt sich die Frage: Auf wessen Kosten würde das gehen? Die Tories werden weiterhin die meisten Brexiter hinter sich sammeln, die Europa-Freunde zwischen Labour, Liberalen und Grünen gespalten bleiben. Eine weitere EU-freundliche Partei würde diese Spaltung nur vertiefen. Chapman wird wohl das Gegenteil von Goethes Mephisto sein: einer, der stets das Gute will und stets das Böse schafft.

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