»Wir Cannabis-Patienten sind aufgeschmissen«

Seit März ist die Verordnung von medizinischem Cannabis neu geregelt. Wie es läuft? Gespräch mit einem Betroffenen

  • Florian Naumann
  • Lesedauer: 3 Min.

Michael Autrum ist Schmerzpatient. Seit 2014 erhält er Cannabis-Blüten zur Verdampfung aus der Apotheke - zuvor war er auf starke Morphine angewiesen. In einem epd-Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz zur Verordnung von medizinischem Cannabis. Das Gesetz ist seit März in Kraft.

Herr Autrum, wie ist es Ihnen mit der Gesetzesänderung bislang ergangen?
Michael Autrum:
Das mit dem Cannabis ging gut, die ersten zwei, drei Monate. In der Apotheke sind jetzt aber keinerlei Sorten mehr verfügbar. Bis September wird es nichts mehr geben. Mein Arzt hat mir deshalb Dronabinol-Tropfen verschreiben müssen. Das Medikament hat 22.000 mal weniger THC-Wirkstoff als Cannabisblüten - das ist natürlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wir Cannabis-Patienten sind jetzt wirklich bis Ende August aufgeschmissen. Und was danach passiert, weiß nur Gott.

Was bedeutet der Lieferengpass konkret für Sie?
Ohne die Cannabisblüten kann ich bei weitem nicht so gut am Leben teilhaben. Ich merke selber, dass Tropfen mir nicht so gut tun, auch von den Schmerzen her. Vor der Umstellung auf Cannabis habe ich alles an Schmerzmitteln nehmen müssen, was es so gab: Meine Höchstdosis waren 44 Tabletten am Tag, inklusive Morphinpumpe. Das ging irgendwann gar nicht mehr: Eine Nebenwirkung war zum Beispiel hohe Aggressivität. Ich fand beschämend, dass ich so war. Das war nicht ich. Als ich mich selbst in einer Filmaufnahme gesehen habe, war das der Moment, an dem ich gesagt habe: Jetzt kommt keine Tablette mehr rein.

Andere Patienten klagen über Schwierigkeiten bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen.
Ich habe die Kostenübernahme sofort bekommen. Am 10. März war das Gesetz da, seit dem 11. März habe ich die Kostenübernahme. Ich finde das Gesetz in dieser Hinsicht super - aber ich weiß auch von anderen Patienten, die noch schlimmer dran sind, die womöglich sogar Krebs haben, dass sie keine Kostenübernahme bekommen haben. Von denen, die eine Ausnahmegenehmigung hatten, haben bislang vielleicht 60 Prozent eine Kostenübernahme. Und das sind schwerstkranke Menschen.

Sie sind in einem Selbsthilfe-Netzwerk organisiert. Welche Optionen sehen Sie und andere Patienten jetzt?
Das ist eine gute Frage. Auf dem Schwarzmarkt versorge ich mich nicht. Ich könnte das machen, ein Gericht würde da wohl einen Notstand anerkennen. Aber was bringt es mir, wenn das Cannabis mit Haarspray versetzt ist oder getränkt wurde mit Wasser, damit es schwerer ist? Anscheinend soll es darauf hinauslaufen, dass wir alle selbst anbauen müssen, denn es kann doch nicht sein, dass wir alle zwei, drei Monate lang unterersorgt sind. Ein anderes Problem sind die Kosten.

Inwiefern?
Früher hab ich 60 Euro in der Apotheke bezahlt für fünf Gramm Cannabis. Jetzt, nach der Gesetzesänderung, würde ich 200 Euro für die gleiche Menge zahlen, wenn ich das privat übernehmen würde. Das sind 400 Prozent Aufschlag, das ist eine Frechheit. In Holland bezahlen Patienten 30 Euro für fünf Gramm medizinisches Cannabis. Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung nicht sagt: »Fahrt nach Holland und deckt euch ein«. Wir alle schütteln nur noch mit dem Kopf. epd/nd

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