Blick in ein Land ohne Eigentümer

Hobby-Ethnograf Andreas Knudsen informiert über ein in Europa weitgehend unbekanntes Indigenenvolk in Bolivien

  • Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 3 Min.

Warum soll man ein Buch lesen von einem deutschen »Indianerfreak« und Hobby-Ethnografen aus Kopenhagen, der mit einem alten Jeep über verschlammte Sandpisten durch eine Region zwischen Anden und Amazonas im Herzen Südamerikas rumpelt, um den Leser mit auf eine »wahrhaftige Reise durch Raum und Zeit zu den bolivianischen Izoceño« zu nehmen? Der Journalist, der Lesern des »neuen deutschland« durch seine Berichterstattung über das Zeitgeschehen in Nordeuropa bekannt ist, hat ein im deutschen Sprachraum bisher kaum beachtetes Thema zu Papier gebracht - das indigene Volk hat es hierzulande nicht einmal zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht.

Engagiert und mit dem Herzen voller Zuneigung für diese Geknechteten kolonialer Weltbeherrschung durch den weißen Mann hat sich Andreas Knudsen aufgemacht, die jahrhundertelange Geschichte der Izoceño zu erkunden und auch dem geneigten Publikum zu erschließen. Östlich von Boliviens Tiefland-Boom-Metropole Santa Cruz de la Sierra, im trockenen Gran Chaco, leben im ersten Nationalpark des Landes über 10 000 Izoceños und Izoceñas. Ihr Gebiet erstreckt sich vom südlichen Bolivien über Paraguay bis nach Nordargentinien. Das historische Los dieses indigenen Volkes ist in der Tat auch eine Chronik des Widerstandes. Zunächst gegen die aus dem Süden einfallenden Guaraní, dann gegen die Spanier, die den Kontinent vom Atlantik her aufrollten. Dem Freiheitskrieg eines Simón Bolívar gegen die Vormachtstellung der Krone folgte der Widerstand gegen die unabhängig gewordenen Mestizenfamilien, die es auf das weite Indigenenland und billige Sklavenarbeitskraft abgesehen hatten. Zerrieben im Chaco-Krieg (1932-1935) zwischen den Nationalstaaten Paraguay und Bolivien - dem mit Zehntausenden Toten blutigsten Konflikt Lateinamerikas im 20. Jahrhundert -, die mit Krupp-Mörsergranaten und deutschen Militärberatern auf der einen sowie britischem Kriegs-Know-how auf der anderen Seite des Schützengrabens um Land, Wasser und Öl kämpften. Es folgten die Bolivianische Revolution von 1952, der Rollback durch rechte Militärdiktaturen im Kalten Krieg, Rückkehr zur Demokratie ab 1982, Jahre des neoliberalen Ausverkaufs sowie des Baus von Gas- und Erdölpipelines durch das Izoceño-Territorium.

Seit 2006 hat mit Evo Morales ein Sozialist aus dem Volk der Aymara im Präsidentenpalast das Sagen. Der zu verteilende Wohlstandskuchen ist durch gestiegene Gas- und Erdölrenten nach der Verstaatlichung der Bodenschätze nun so groß wie nie. Allerdings müssen sich die Chaco-Bewohner heute entscheiden, ob sie das nationale Entwicklungsprojekt mit Armutsbekämpfung und Infrastrukturausbau unterstützen oder sich auf die Seite internationaler Umweltschutzorganisationen stellen, die vor den ökologischen Folgen des »Extraktivismus« warnen.

Sprachlich ist der als Chronik verpackte Reisebericht bisweilen verbesserungswürdig, wie einige unglückliche Stimmungsbilder oder die Verwendung des naiv-romantisierenden Karl-May-Begriffs des »Indianers« zeigen. Auch hätte die Dia-Abend-Bebilderung professioneller ausfallen können. Doch am guten Ende erlaubt das Buch einen durchaus lohnenden Erkenntnisgewinn über »Iyi Iyambae«, das Land ohne Eigentümer. Belesen, aber vor allem auch im unmittelbaren Gespräch mit Gemeindevertretern, spirituellen Mburuvicha-Autoritäten, mit »araka ìya reta« (Beratern des Volkes) oder mit der 77-jährigen Catalina Aramayo Aurora, die von der Rolle der Frau in der Izoceño-Gesellschaft berichtet, gewährt uns der Autor einen Einblick in eine unbekannte, weit entfernte Welt, die doch seit Jahrhunderten ganz nah am Puls der Zeit ist.

Andreas Knudsen: Ivi Iyambae, Chronik einer wahrhaftigen Reise durch Raum und Zeit zu den bolivianischen Izoceño-Indianern, Nora-Verlagsgemeinschaft, Berlin, 2017, 343 Seiten, 39 Euro. Ein Teil der Erlöse soll einem Izoceño-Projekt zugute kommen.

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