Vom Sputnik zum kosmischen Goldgräber

60 Jahre nach dem ersten künstlichen Erdsatelliten ist Raumfahrt alltäglich. Doch erst in jüngster Zeit gibt es wieder deutlich mehr Neuentwicklungen.

  • Eugen Reichl
  • Lesedauer: 8 Min.

Alles begann mit »Sputnik 1«. Dieser erste künstliche Erdsatellit wurde am 4. Oktober 1957 von Baikonur aus mit dem fünften Testexemplar der Interkontinentalrakete R-7 »Semjorka« in eine Umlaufbahn gebracht. Die Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS über den Start war ein immenser Schock für die USA. Die sahen sich damals im Weltraum-Wettrennen mit dem »Klassenfeind« weit voraus. Wegen eines kleinlichen Streits um die Zuständigkeiten der einzelnen Waffengattungen hatte man dort aber die durchaus vorhandene Gelegenheit verpasst, schon 1956 einen Erdsatelliten in den Weltraum zu starten.

Nach »Sputnik 1« folgten die 15 aufregendsten Jahre der Raumfahrtgeschichte. Am Tag des Starts von »Apollo 11« zur historischen ersten Mondlandung versprach Wernher von Braun den Fernsehzuschauern die erste bemannte Landung auf dem Mars für das Jahr 1980. Wenn man sich den rasanten Fortschritt des zurückliegenden Jahrzehnts vor Augen hielt, schien das außerordentlich realistisch zu sein.

Doch dann kam Richard Nixon dazwischen. Der interessierte sich erstens nicht für Raumfahrt und zweitens brauchte er jeden Dollar für den Vietnamkrieg. Nach John F. Kennedy interessierte sich eigentlich überhaupt kein amerikanischer Präsident mehr so recht für den Weltraum. Und die Sowjetunion war heilfroh, den kostspieligen Wettlauf mit den Amerikanern einstellen zu können.

In den siebziger Jahren wurden die letzten Reste der bereits in den sechziger Jahren geplanten und gebauten Hardware verbraucht. Danach kamen seitens der Sowjetunion eine Reihe kleinerer Raumstationen und bei den USA der Shuttle. Letzterer stellte sich als Sackgasse heraus. Die NASA hatte ihn auf Anforderung des Militärs größer und komplexer konzipiert, als sie ihn selbst brauchte. Doch das Militär war, als er endlich flugbereit war, kaum noch interessiert. Die US-Streitkräfte führten letztendlich nur einige wenige militärische Alibi-Missionen damit durch.

Der Shuttle war ein technisches Mirakel und ein wirtschaftliches Desaster. Die NASA besaß damit das komplizierteste Fluggerät in der Geschichte der Menschheit. Jede einzelne Mission kostete fast eine Milliarde Dollar. Dabei waren die US-Raumfähren noch nicht mal sicherer als klassische Trägerraketen. Am Ende war Betrieb der Shuttles so teuer, dass alle Anläufe für ein sinnvolleres Nachfolgefluggerät für mehr als drei Jahrzehnte im Sande verliefen.

Seit Dezember 1972, dem Termin der letzten bemannten US-Mondmission, hat sich kein Mensch mehr weiter als 650 Kilometer von der Erde entfernt. Die bislang letzte Probenrückführmission zum Mond - die unbemannte sowjetischen Sonde »Luna 24« - datiert auf das Jahr 1976. Das heutige Russland hat längst die Fähigkeiten verloren, so etwas kurzfristig zu wiederholen. Wie das Land überhaupt noch vom Technologiewettbewerb im Kalten Krieg zehrt. Seit fünfzig Jahren wurde dort nichts wesentlich Neues mehr entwickelt, sieht man einmal von der Raumfähre »Buran« und der Rakete »Energija« ab, die so teuer waren, dass das Programm den massiven Budgetkürzungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1993 zum Opfer fiel. Einzig die Booster blieben als eigenständige Trägerrakete »Zenit«.

Im Gegensatz zu dem Bild, das in der Öffentlichkeit vorherrscht, besteht in wesentlichen Aspekten der Raumfahrt seit einem halben Jahrhundert Stillstand. Natürlich gab es in den vergangenen Jahrzehnten einige Planetenmissionen. Die Jupitersonde »Juno«, die Saturnsonde »Cassini«, »New Horizons« zum Pluto, die Marsrover »Spirit«, »Odyssey« und »Curiosity«, »Rosetta« und noch manch anderes Projekt. Und die Technik der Nachrichten- und Erdbeobachtungssatelliten wurde stetig verbessert. Natürlich haben wir als großes Raumfahrt-Flaggschiff die Internationale Raumstation. Und wissenschaftliche Satelliten leisten Großartiges, wenngleich meist abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Aber im Großen und Ganzen findet Raumfahrt in der Vorstellung des Bürgers nur noch dann statt, wenn das Fernsehen mal wieder eine explodierende Rakete zeigt. Die klare Botschaft der meisten Medien: Raumfahrt ist unnütz, teuer und gefährlich.

Doch seit einigen Jahren gibt es eine überraschende Wende. Plötzlich ist wieder richtig was los im Sonnensystem. Das liegt zum einen an Ländern wie China und Indien, aber auch an US-Milliardären mit Raumfahrtambitionen.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit stieg China zur Raumfahrtgroßmacht auf. Das Land betreibt Raumfahrt in der vollen Breite des Angebots: Militärisch, kommerziell, wissenschaftlich. Von der bemannten Raumfahrt bis hin zu unbemannten Expeditionen zu Mars und Jupiter. Der Westen bezeichnet Chinas enorme Anstrengungen auf diesem Gebiet gerne als »geheim«. Was glattweg falsch ist. Es ist westlichen Medien lediglich zu mühsam, sich durch die meist reichlich vorhandenen, aber eben nur auf Chinesisch vorliegenden Informationsquellen zu arbeiten.

Die spannendste Entwicklung der letzten Jahre kommt aber aus dem Westen. »New Space« heißt hier das Stichwort. Das ist eine Gemengelage von pragmatischen Ansätzen, unkonventionellem Denken, einer guten Portion Profitstreben und dem Wunsch nach der Erfüllung der Buck-Rodgers-Träume aus der Jugendzeit. In Texas und Kalifornien werden Weltraumflüge für Touristen geprobt. Für riesige Konstellationen von Satelliten, die den gesamten Globus aus dem Weltraum mit Internet versorgen, werden neue Fabriken errichtet und bereits die Prototypen gebaut. Und in Texas und in Neuseeland entstehen neue Raumflughäfen.

Die bekanntesten Namen der »New-Space«-Szene sind Elon Musk, in Deutschland eher als der Boss des Elektroautoherstellers Tesla bekannt, Jeff Bezos, den man hierzulande praktisch nur in Verbindung mit Amazon kennt, und Richard Branson, den Chef der Virgin Fluglinien. Ihre Raumfahrtfirmen heißen SpaceX, Blue Origin sowie Virgin Galactic und Virgin Orbital. In der raumfahrtinteressierten Gemeinde werden auch Namen wie Peter Beck (Rocketlab), Jeff Masten (Masten Space), Tom Markusic (Firefly) oder Eren Ozmen (Sierra Nevada Corporation) ehrfürchtig zitiert.

Die beschäftigen sich momentan schwerpunktmäßig mit der Technik von Raumtransportsystemen. Dort verhinderte die Lähmung der letzten fünf Jahrzehnte praktisch jeglichen Fortschritt. Die Transportfrage ist aber das Urproblem der Raumfahrt. Ohne seine Lösung wird es keine industrielle Revolution im Weltraum geben. Der Teufelskreis sah in etwa so aus: Die Menge an Gütern, die in den Weltraum transportiert werden, ist sehr gering. Was daran liegt, dass die Transportkosten exzessiv hoch sind. Weil aber so wenige Flüge stattfinden, bleiben die Transportsysteme so extrem teuer.

Ist die Transportfrage erst einmal gelöst, dann kann die Industrialisierung des Weltraums beginnen. Jeff Bezos schwebt beispielsweise vor, jegliche umweltgefährdende Schwerindustrie nach »draußen« zu verlagern. Dorthin, wo Platz und Ressourcen unbegrenzt sind.

Man könnte die Rohstoffe auf Mond und Mars abbauen, aber leichter zugänglich sind die Asteroiden. Im inneren Asteroidengürtel, der sich zwischen Mars und Jupiter befindet, gibt es etwa 1,5 Millionen dieser Himmelskörper mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer. Sie sind das Rohmateriallager der Zukunft. Der Asteroid Psyche zum Beispiel besteht zum größten Teil aus Nickel und Eisen. Bei einem Durchmesser von 250 Kilometern könnte er ganz allein den kompletten irdischen Bedarf an diesen beiden Metallen für jede denkbare Zukunft decken.

Viele Asteroiden enthalten aber auch Wasser, Wasserstoff, Stickoxide und Kohlenstoff. Aus Wasser kann mit Energie Raketentreibstoff hergestellt werden. Und Energie ist im Weltraum ohnehin in unbegrenzten Mengen verfügbar, wenn man sich nicht zu weit von der Sonne entfernt. Tut man es doch, kann man dort auch Atomreaktoren ohne Gefahr betreiben, schon weil der nächste Anwohner schlichtweg zweihundert Millionen Kilometer entfernt ist und Tsunamis und Erdbeben eher selten sind.

Interessant wird die Sache auch aus rechtlicher Sicht. Die alten Weltraumverträge verhindern den Abbau von Ressourcen eher, als dass sie ihn fördern. Der Weltraumvertrag des Jahres 1967 etwa lässt allenthalben erkennen, dass keiner dem anderen mögliche lukrative Nutzungen im Weltraum gönnte. Man wollte mit diesem Vertrag vor allem verhindern, dass ein Staat voranging und alle interessanten Nutzungen an sich ziehen konnte.

Zwölf Jahre nach dem Weltraumvertrag gab es einen neuen Anlauf, die Frage nach der Nutzung der Ressourcen des Weltraums konkreter zu beantworten: im sogenannten »Mondvertrag« von 1979. Der ging in seinem Neidaspekt sogar noch weiter und verbot die Nutzung von Ressourcen der Himmelskörper so lange, bis es ein internationales Nutzungsregime in Kraft tritt.

Die Sache war so durchsichtig, dass die Einzigen, die tatsächlich die Ausbeutung der Schätze des Sonnensystems hätten betreiben können, also die USA, dieses Werk gar nicht erst unterschrieben. Aus diesem Grund fühlen sie sich auch heute nicht daran gebunden. So ist (aus der Sicht aller Länder mit Ausnahme der USA) eine rechtliche Grauzone entstanden, die fast vierzig Jahre lang niemanden interessierte. Nun aber brauchen die Start-ups des »New Space« Rechtssicherheit. Der US-Kongress fand sich bereit, ihnen die zu geben. Er beschloss ein Gesetz, das den Unternehmen erlaubt, die Rohstoffe zu behalten, die sie von Asteroiden abgebaut haben.

Da mit erheblicher Gewissheit abzusehen ist, dass die ersten Bergbauunternehmen US-Ursprungs sein werden, ist hier der Ärger vorprogrammiert. Und wenn man sich ansieht, mit welcher Geschwindigkeit völkerrechtlich bindende Vereinbarungen seitens der UNO sonst so realisiert werden, dann kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass die »Miner« schneller sein werden als die Völkerrechtler der Weltorganisation. Damit hätten wir eine Situation, die der des Goldrauschs von 1848 nicht unähnlich ist. Es stehen uns spannende Zeiten bevor.

Zum Schluss noch ein für manchen vielleicht zunächst ernüchterndes Wort zu »Sputnik 1«. Die Menschen damals waren der Meinung, dass das hell leuchtende Objekt, das sie am Nachthimmel problemlos mit bloßem Auge verfolgen konnten, »Sputnik 1« war. Was nicht stimmte, denn der war nur so groß wie ein Sitzkissen, und mit bloßem Auge praktisch nicht erkennbar. Strahlend hell war dagegen die Block-A-Zentralstufe der R-7, mit der »Sputnik 1« gestartet worden war. Die befand sich logischerweise in derselben Umlaufbahn und flog nicht weit hinter dem Sputnik her. Die war 28 Meter lang, mehrere Tonnen schwer und somit ein wesentlich helleres Objekt als der Satellit selbst. Ernüchterung ist also nicht angebracht, denn die Rakete repräsentierte den damaligen technischen Fortschritt ohnehin besser, als der schlicht gestrickte Sputnik.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal