EU-Energiekonzerne fordern die Türkei heraus

Probebohrungen nach Gas vor Zypern - Frankreich und Italien geben ihren Multis Rückendeckung

  • Christian Mihatsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wem gehört Zyperns 200-Meilen-Zone? Gemäß der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen ist die Antwort klar: Sie gehört Zypern. Diese Ansicht teilen auch die EU und die USA. Die Türkei, die - wie übrigens auch die USA - zu den wenigen Staaten gehört, die der Konvention bisher nicht beigetreten ist, sieht dies aber anders: Aus türkischer Sicht haben Inseln nicht die gleichen Rechte wie Staaten auf dem Festland und Ankara will daher Zypern nur eine 12-Meilen-Zone zugestehen.

Trotz der unterschiedlichen Sichtweisen gab es bislang nur wenige Streitigkeiten. Doch dies könnte sich im November dieses Jahres ändern. Dann nämlich will der italienische Energiekonzern Eni in Zyperns 200-Meilen-Zone mit neuen Probebohrungen nach Gas beginnen. »Wir glauben, dass es in der Region ein Gasfeld wie Zhor geben könnte. Wir hoffen es«, sagte Enis Chefexplorateur Luca Bertelli. Zhor ist ein riesiges Gasfeld, das Eni im Jahr 2011 in ägyptischen Gewässern gefunden hat.

Nikosia hat das Seegebiet südlich von Zypern in 13 Blöcke aufgeteilt und dort Lizenzen für Probebohrungen erteilt. Die Italiener planen fünf Bohrungen in drei der Blöcke. Zwei davon werden von Ankara zwar nicht beansprucht, aber die Regierung ist der Meinung, die Suche nach Rohstoffen könne erst beginnen, wenn die Zypernfrage gelöst ist. Die Verhandlungen über die Wiedervereinigung des EU-Mitglieds Zypern mit dem türkisch besetzten Nordzypern waren aber im Juli erneut gescheitert.

Noch heikler ist Block 6, den sich Eni mit dem französischen Ölkonzern Total teilt. Dieses Seegebiet wird etwa zur Hälfte von Ankara beansprucht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte daher im Juli: »Wir erwarten von allen, die sich im Hinblick auf die Entwicklungen in Zypern auf eine Seite schlagen, auf Schritte zu verzichten, die zu neuen Spannungen führen.« Sonst könnten sie »einen Freund wie die Türkei verlieren«.

Die Regierungen Frankreichs und Italiens stehen aber hinter ihren Energiekonzernen und haben dies bei Besuchen in Zypern unterstrichen. Italiens Verteidigungsministerin Roberta Pinotti sagte Ende Juli in der Hauptstadt Nicosia: »Eni arbeitet jetzt in Zypern und ich glaube, dass wir eine positive Entwicklung für ganz Europa sehen werden.« Für ihren zypriotischen Kollege Christoforos Fokaides ist die Sache ebenfalls klar: »Wir arbeiten in Kooperation mit den lizenzierten Firmen und den interessierten Ländern auf der Grundlage von internationalem Recht.«

Der langjährige türkische Diplomat Oktay Aksoy sagte hingegen gegenüber dem russischen Webportal Sputnik: »Die Türkei wird sich nicht auf die Provokationen einlassen und keine militärische Intervention in Zypern unternehmen - zumindest nicht sofort.« Man werde sich, so Aksoy, zunächst an die NATO wenden. »Wenn sich die Allianz aber auf die Seite der europäischen Länder schlägt, wird die Türkei eigene, scharfe Maßnahmen ergreifen bis zu einer direkten Intervention in die internen Angelegenheiten der Insel.«

Dies könnte drei weitere Länder auf den Plan rufen: Griechenland, Großbritannien und die USA. Die ersten beiden sind wie die Türkei laut dem »Londoner Garantievertrag« Schutzmächte Zyperns. London unterhält sogar eine Militärbasis auf der Insel. Die USA sind hingegen selbst über einen Energiekonzern in den Konflikt involviert. ExxonMobil hat die Lizenz für die Erkundung von Block 10 und plant für 2018 erste Probebohrungen.

Verkompliziert wird die Lage durch die Pipelinefrage. Die Ausbeutung der beiden Gasfelder Zhor (Ägypten) und Leviathan (Israel) lohnt nur, wenn ein Teil exportiert wird. Laut dem israelischen Energieminister Yuval Steinitz sind derzeit zwei Pipelinevarianten im Gespräch: eine über die Türkei nach Europa, die andere über Zypern nach Griechenland und Italien. Ankara favorisiert erstere und hofft zur Gasdrehscheibe für Europa zu werden. Das Problem ist aber, dass diese Pipeline entweder durch libanesische und syrische Gewässer führt oder durch zypriotische. Die zweite Option ist eher im Interesse Europas, da eine Abhängigkeit von der Türkei beim Gasimport vermieden würde.

Möglich ist aber auch, dass am Ende keines der Felder erschlossen und auch keine Pipeline gebaut wird. Zum einen könnten sich die geopolitischen Probleme als unüberwindlich erweisen, zum anderen könnte sich die Gasförderung im östlichen Mittelmeer als nicht lohnenswert herausstellen: Auf dem internationalen Gasmarkt besteht wohl noch für Jahre ein Überangebot, das die Preise drückt. Womöglich streiten sich daher die Türkei und Zypern um Gas, das keiner braucht.

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