Pakistan will die Spannungen

Subir Bhaumik über den Rohingya-Konflikt in Myanmar und die politischen Hintergründe

  • Stefan Mentschel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Gewaltausbruch im Westen Myanmars hat viele Tote gefordert. Hunderttausende sind auf der Flucht. Was ist der Grund für die Eskalation?
Gewalt gibt es im Bundesstaat Rakhine seit Jahrzehnten. Um die Region zu befrieden, fasste Regierungschefin Aung San Suu Kyi im Oktober 2016 einen mutigen Entschluss. Sie setzte eine Kommission unter Leitung des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan ein, die Vorschläge für eine Lösung des Konflikts erarbeiten sollte. In seinem im August veröffentlichten Bericht spricht sich Annan für den Schutz der Rohingya, Religionsfreiheit sowie eine Beschleunigung der Verfahren zur Anerkennung der muslimischen Minderheit als myanmarische Staatsbürger aus. Zudem wird ein Aussöhnungsprozess zwischen den Ethnien gefordert.

Das hat offensichtlich nicht funktioniert.
Die Zeichen standen zunächst durchaus auf Erfolg. International stießen die Vorschläge auf Zustimmung. In Myanmar gab es ebenfalls positive Signale. An dem Bericht hatten auch mehrere myanmarische Spitzenpolitiker mitgearbeitet, was der Regierung Suu Kyi die Legitimität zum Handeln gab. Gegen den Widerstands des Militärs kündigte Suu Kyi die Einsetzung einer Regierungskommission an, um Annans Vorschläge in die Tat umzusetzen. Allerdings hatte sie die Rechnung ohne die Rohingya-Rebellen gemacht, die in Rakhine seit Ende der 70er Jahre gegen das Militär und die Regierung kämpfen.

Subir Bhaumik

Subir Bhaumik ist Experte für Sicherheitspolitik in Süd- und Südostasien. Der Journalist und frühere BBC-Korrespondent hat mehrerer Bücher geschrieben, in denen er die politischen Entwicklungen in Myanmar, Bangladesch und im Nordosten Indiens analysiert. Mit ihm sprach für »nd« Stefan Mentschel, der das Regionalbüro der Rosa Luxemburg Stiftung in Delhi leitet.

Was war passiert?
Nur Stunden nach Veröffentlichung des Annan-Berichts griffen Kämpfer der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA, sinngemäß: Armee zur Rettung der Rohingya) zusammen mit Hunderten bewaffneten Dorfbewohnern 30 Polizeistationen und eine Kaserne an. Mindestens zwölf Polizisten und Soldaten wurden getötet. Durch diese konzertierte Aktion wurde die Hoffnung auf einen Friedensprozess zerstört, bevor der überhaupt beginnen konnte.

Wie reagierte das Militär?
Aung San Suu Kyi hatte ihr Gesicht verloren. Die Armee nutzte die Gunst der Stunde und begann mit der rücksichtslosen Aufstandsbekämpfung, die sich vor allem gegen Zivilisten richtet.

Warum torpedierte ARSA den Friedensprozess?
Es spricht viel dafür, dass ARSA vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt wird. Der verfolgt das Ziel, neben dem Dauerkonflikt mit Indien in Kaschmir auch im Osten des Subkontinents Spannungen zu schüren. Die Aktivitäten sind dabei weniger gegen Myanmar gerichtet, sondern gegen die indienfreundliche Regierung von Sheikh Hasina in Bangladesch.

Gibt es Beweise für eine Verstrickung Pakistans?
Nach meinen Informationen haben die Geheimdienste Indiens und Bangladeschs Telefonate abgehört, in denen die ARSA-Führung von pakistanischen Verbindungsoffizieren aufgefordert wurde, nach Veröffentlichung des Annan-Berichts anzugreifen. Die Pakistaner wussten, dass Myanmars Militär brutal zurückschlagen und eine Massenflucht von Rohingya auslösen würde. Das ist geschehen und hat nun erhebliche Auswirkungen auf Bangladesch.

Welche genau?
Die Flüchtlingskrise kann Bangladesch innenpolitische destabilisieren, denn Sheikh Hasina hat nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Bangladesch ist ein armes Land. Es hat nicht die Ressourcen, um viele Flüchtlinge aufzunehmen. Doch wenn Sheikh Hasina die Rohingya nicht aufnimmt, würde ihr die islamistische Opposition vorwerfen, sie ignoriere eine humanitäre Katastrophe mit muslimischen Opfern. Derzeit bemüht sich Bangladesch um einen Mittelweg: Einerseits nimmt es Flüchtlinge auf. Andererseits appelliert es vehement an die Weltgemeinschaft, Druck auf Myanmar auszuüben, damit die Repressalien in Rakhine und die Massenflucht enden.

UN-Generalsekretär António Guterres warnt vor »ethnische Säuberungen« in Myanmar.
Das ist übertrieben. Fakt ist, dass die Armee in Myanmar auf Aufstandsbewegungen ethnischer Minderheiten stets mit rücksichtsloser Gewalt geantwortet hat. Nicht zu vergessen die jahrzehntelange Repression der politischen Opposition durch das Militärregime. In Rakhine hat die Armee jetzt wieder mit brutalen, mittelalterlich anmutenden Vergeltungsmaßnahmen reagiert, was Hunderttausende Zivilisten in die Flucht treibt. Das Vorgehen ist allerdings eine Reaktion auf die Angriffe der ARSA im August und keine geplante ethnische Säuberung.

Welche Möglichkeiten hat die angeschlagene Aung San Suu Kyi, um den Konflikt zu beenden?
Wie ihre Amtskollegin Sheikh Hasina hat sie nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie muss das mächtige Militär bei Laune halten, um die in den letzten Jahren erzielten demokratischen Fortschritte im Land nicht zu gefährden und einen neuerlichen Putsch zu verhindern. Sie muss sich aber auch mit der internationalen Gemeinschaft auseinandersetzen, die das brutale Vorgehen der Armee scharf kritisiert. Hinzu kommen, dass ARSA mit der Unterstützung Pakistans alles daran setzen wird, um einen Friedensprozess zu torpedieren, und dass Bangladesch angesichts der vielen Flüchtlinge zunehmend unruhig wird. Angesichts der komplexen Konfliktlage ist es derzeit daher vor allem wichtig, dass Suu Kyi die Krise politisch übersteht. Andernfalls sehe ich schwarz für die junge Demokratie in Myanmar.

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