Formschön spritzt die Gehirnmasse

Fantasyfilmfest: »Mermaid« und »This Is Your Death«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun gut, die Gewaltexzesse sind einfallsreich und farbenfroh inszeniert. Die auf der Leinwand zu sehenden Bösewichte sind geschönt, haben eher Ähnlichkeit mit Lord Voldemort oder Norman Bates als mit Alexander Gauland und Josef Fritzl (naja, sagen wir: in der Regel). Und die einzigen Türme, die hier, auf den Fluren des Festivalkinos, zum Einsturz gebracht werden, sind aus Popcorn.

Das könnte manchen zu der Annahme verführen, das Thriller- und Horrorkino habe gar nichts mit unserer sogenannten Wirklichkeit zu tun. Aber diese Schlussfolgerung ist natürlich falsch.

Selbst in einem albernen Trash-Kitschfilm, in dem nicht nur alles nach Plastik aussieht, sondern offenbar auch aus Plastik zu bestehen scheint und im Vergleich zu dessen offenbar im Zustand permanenter Hysterie agierenden Darstellerinnen und -darstellern selbst jemand wie Veronica Ferres als talentierte Schauspielerin durchgeht, steckt eine, wenn auch recht holzschnittartige, Gesellschaftsanalyse.

In der chinesischen Produktion »Mermaid« (19.9., 14 Uhr) etwa geht es darum, dass eine Handvoll vom Aussterben bedrohter Meerjungfrauen und -männer einen Anschlag auf einen abgrundtief bösen Konzernboss plant, weil dieser mit seinen mit totaler Umweltzerstörung einhergehenden und ausschließlich der Profitmaximierung dienenden Geschäften ihren natürlichen Lebensraum bedroht. Nur ärgerlich, dass am Ende die moralische Läuterung und Einsicht des niederträchtigen Unternehmers steht. Das wiederum hat doch gar nichts mit der Realität zu tun!

Auch der Plot des US-Films »This Is Your Death« ist ein Versuch, die totale Verwertungsideologie unserer Gesellschaft abzubilden: So nämlich heißt auch die TV-Show eines privaten Fernsehkanals, in der Menschen sich vor laufender Kamera umbringen - alles sauber vertraglich geregelt, versteht sich -, zur Befriedigung der Schaulust der Zuschauer. Sie sind hoch verschuldet und Ihrer Familie droht die Obdachlosigkeit? Sie können sich die medizinische Behandlung Ihres todkranken Kindes nicht leisten? Alles kein Problem! Ihr Suizid kann einem guten Zweck dienen: Der Sender zahlt alles bzw. sorgt für Ihre Angehörigen, wenn Sie brav Ihren Selbstmord zur besten Sendezeit verüben.

Hat man die gegenwärtige Fernsehunterhaltung vor Augen, in der die Menschen vorgeführt, aufeinander gehetzt und als auszubeutendes Kamerafutter benutzt werden, scheint die Zukunft, in der derlei Realität wird, nicht mehr allzu fern. Nur: Auch hier geht der Film inkonsequenterweise leider nicht weit genug und bleibt zahm. Das hätte doch nicht sein müssen!

Warum dem Zuschauer nicht ein wahrscheinlicheres Szenario anbieten? Etwa - ganz nach FDP-Art - mehrere Suizidkandidaten im Wettbewerb gegeneinander antreten lassen? Nur wer sich am publikumswirksamsten, originellsten und in spektakulärster Weise entleibt, gewinnt. Bei einer Stellenausschreibung kriegt ja auch nur ein Bewerber den Job! Oder warum nicht auch die Familienangehörigen beim Zusehen filmen und deren gewiss bewegende Reaktionen im TV übertragen? Entsetzen und Trauer in Großaufnahme! Exklusive Livebilder von weinenden Gesichtern!

Man will sich schließlich auch am Schmerz der Hinterbliebenen weiden können, nicht nur an der formschön spritzenden Gehirnmasse des Selbstmörders. Am besten, es ist auch noch eine aus schmierigen Prominenten zusammengesetzte Jury dabei, die den gebotenen Unterhaltungswert kontrovers bequasselt und Punkte für den besten Selbstmord verteilt, während im Bildhintergrund die Leiche aus dem Studio transportiert wird. So geht modernes Fernsehen!

Fantasyfilmfest, Cinestar im Sony-Center, Potsdamer Straße 4, Mitte, täglich noch bis zum 24. September

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal