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Monteverdi zum Einstand

Pierre-Boulez-Saal: der RIAS Kammerchor unter seinem neuen Chefdirigenten Justin Doyle

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Berlins Konzertbetrieb hat mit Beginn der Saison gleich drei neue Chefdirigenten. Ihre Arbeit beginnen Vladimir Jurowski beim Rundfunk-Sinfonieorchester, Robin Ticciati beim Deutschen Symphonie-Orchester und Justin Doyle bei der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH (Roc) des Deutschlandfunks, der auch der RIAS-Chor zugehört. Doyle zeigte sich am Freitag erstmals als neuer Chef dem Publikum im Pierre-Boulez-Saal in der Französischen Straße und in der St. Hedwigs-Kathedrale.

Boulez-Saal - der Name verpflichtet. Mit dem großen Franzosen und Musiker im Rücken darf nichts unterhalb alles guten Älteren und vor allem Neuen abgehen, schon gar nicht, die Türen für junge Begabungen zu verstellen. Das Haus ist international und liebt es, mit kühnen Visionären an der Spitze die Musikstadt Berlin zu beglücken. Justin Doyle zählt zu solchen. Nun ist es amtlich. Ab sofort arbeitet er als Chefdirigent und Künstlerischer Leiter für den RIAS-Kammerchor. Der ist eine Perle innerhalb der internationalen Profi-Sängerschaft und vertraut sowohl mit den besten Ergebnissen der Chorgeschichte wie mit neuester Vokalmusik.

Schon Hans-Christoph Rademann, Vorgänger des nunmehrigen Amtsinhabers, hat dem Chor kräftige Impulse verliehen, nun darf Doyle deren Energien mit seinen Absichten forttreiben. Er, im britischen Lancaster geboren, wäre freilich nicht gebeten worden, brächte er nicht schon gehörige Erfahrung mit. In der Londoner Westminster Cathedral war er Chorknabe und später so genannter Choral Scholar am berühmten King’s College in Cambridge. Dem jungen Mann gelang sodann der Durchbruch unter anderem als Dirigent der BBC-Singers. Rundfunk-Vokalisten mit ihren speziellen Aufgaben sind ihm also nicht unbekannt. Alsdann leitete er britische Kirchen- und Universitätschöre, stand Orchestern wie der Young Sinfonia der Royal Northern Sinfonia von Newcastle oder dem Finnish Baroque Orchestra vor und trieb sich als Gastdirigent in der Welt herum.

Mit dem Neujahrskonzert 2017 in der Philharmonie gab Justin Doyle sein Berlin-Debüt. Nun darf er als Chef der RIAS-Choristinnen und -Choristen glänzen. Ist der Brite darum schon ein Berliner? Er ist wie der Chor viel gereist. Das wird auch so bleiben. Musik, ihr Wesen, das, was sie gibt und nimmt, ist international. Ein Engländer steht dem deutschen Klangkörper gut zu Gesicht.

Im säkularen wie im Kirchenraum ragt musikalische Tradition tief und ist teils immer noch verschüttet. Manches davon hat der Dirigent mithilfe von Fachmusikologen wieder frei gelegt. Historische Aufführungspraxis, wissenschaftlich begleitet, interessiert ihn. Fruchtbar darum seine Arbeit mit Originalklang-Ensembles wie dem englischen Retrospect Ensemble und der international zusammengesetzten Harmony of Nations. Doyles Repertoire umfasst Musik der letzten 600 Jahre von A cappella-Werken für Kammerchor bis zu großen Oratorien und Opern. Die altenglische Chormusik der Byrds, Purcells oder Dowlands liegt ihm ungeheuer, desgleichen deren Verarbeitung etwa durch Benjamin Britten. Auch Britten-Opern wie »Albert Hering« hat er musikalisch geleitet. Dazu Bühnenwerke Haydns und Mozarts. Bleibt zu hoffen, dass Justin Doyle sich den Gegenwartsmusik mit demselben Geschick und Eifer widmet wie der älteren Musik.

Zum Saisonauftakt kam eine geballte Ladung Italienisches, siedelnd in den blühenden Gärten der Renaissance wie in den großen Sakralbauten Venedigs. Beidem war der große Claudio Monteverdi unlöslich verhaftet. Und Doyle ist mit anderen diesen Landschaften nachgegangen. Die unterdes berühmt gewordene »Marienversper« (»Vespro della Beata Vergine«) nämlich lädt zu Forschungen über die Hintergründe dieser Musik geradezu ein. Den Boulez-Saal wählte Doyle nicht zufällig. Der passte genau zu seinem Aufführungskonzept. Die Umsetzung braucht verschiedene Aufteilungen im Raum. Doyle und Mitstreiter schauten nach eigener Aussage die Noten noch einmal gründlich durch und zogen sonstige musikalische Quellen herbei, um das Werk authentisch, klar und variantenreich vors Publikum zu bringen.

Da singt der Vorsänger von oben herab, während sich die Chorgruppen von Teil zu Teil anders formieren, auch solistisch in Gestalt eines aufbegehrenden Männertrios. Desgleichen die Instrumentalisten, Mitglieder der Capella de la Torre, geleitet von der Oboisten Katharina Bäuml. Sie spielen auf alten Instrumenten: Flöten, Oboen, Fagott, Celli, Theorbe, drei unterschiedlich gestimmten Zinken (Posaunen), dazu Orgelpositiv.

Berückend der Klang der hinzugesetzten Instrumentalstücke, die stammen von Kollegen des Claudio: Salomon Rossi aus Mantua und Biagio Marini aus Venedig. Mit diesen hat der Großmeister bestimmt gezecht und getanzt. Das »Fremde« und doch so Bekannte ergänzt, bereichert, stimmt fröhlich.

Beherzt, sinnlich die Tonfälle der Spieler. Sie musizieren wie Menschen, die das neues Zeitalter sinnenfroh begrüßen und Maria höchste Ehre erweisen. Die vier Gesangssolisten, je zwei Männer und Frauen, zu erleben, affiziert Freude schlechthin. Wie die Chorgruppen wandeln sie, wenn geboten, im Raune, mal stehen sie oben, mal unten, links, rechts, irgendwann halbkreisförmig droben an den ovalen Rändern. Die Klangwanderung geht über 90 Minuten weg. Tagklare wie wunderbar nachtschwangere Stimmen kreisen im Raum, solche mit gregorianischem Vorsänger, solche in Gestalt von Responsorien aller Couleur. Jeder der zwölf Teile schließt mit einem Amen, das anmutet, als wäre die mittelalterliche Schwere der Musik verflogen.

Unter der großen Orgel der Hedwigs-Kathedrale erklang dann Monteverdi Missa »In illa tempore«, Musik, als wäre sie ein polyphoner Fels, gehauen im »Stile antico«. Sie eröffnet mit der festlichen Trompeten-Intrada aus Claudius Oper »L’Ofeo« und endet mit einem unter die Haut fahrenden majestätischen »dona nobis pacem«.

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