Auch Künstler werden an den Rand gedrängt

Die Hauptstadt rühmt sich gerne ihrer Kulturszene, doch Atelierräume sind zunehmend bedroht

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Raumnot kultureller Infrastruktur in Berlin wird immer drängender«, heißt es im gemeinsam von der »Allianz (bedrohter) Berliner Atelierhäuser« und dem »Zentrum für Kunst und Urbanität« (ZK/U) verfassten Aufruf. Trotzdem ist die Stimmung am Sonntag auf dem Gelände des ehemaligen Moabiter Güterbahnhofs, dem Startpunkt des Demonstrationszugs, gelöst. Am letzten Tag der Berlin Art Week beginnen einige Dutzend Teilnehmer die Tour zu mehreren Atelierstandorten, die bedroht waren oder sind. Blickfang ist die Attrappe eines Sightseeing-Busses.

Nicht nur Künstler sind vertreten, auch die Baustadträte von Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, Ephraim Gothe (SPD) und Florian Schmidt (Grüne), laufen mit.

»Das ZK/U ist wirklich ein inhaltliches Highlight geworden. Es hat sich gelohnt, dafür zu kämpfen«, sagt Gothe. Der Kampf um die Errichtung des Zentrums mit 13 Atelierwohnungen und Veranstaltungsräumen fiel in die Zeiten des harten Sparwahns Ende der 2000er Jahre. Es eröffnete 2012 und ist über einen 40 Jahre laufenden Erbpachtvertrag langfristig abgesichert. »Auf die ganz lange Sicht können wir die künstlerische Nutzung nur garantieren, wo die öffentliche Hand Eigentümer ist«, bekennt der SPD-Politiker.

Ganz so klar ist das nicht, schließlich plante das landeseigene Wohnungsunternehmen GESOBAU, die Weddinger Gerichtshöfe, eine Station der Tour, teilweise in Studentenwohnungen umzunutzen. Die Künstler sollten bleiben, das Gewerbe verschwinden. »Dabei gibt es viele Synergien zwischen Handwerk und Kunstschaffenden«, erklärt Gothe. Doch pünktlich zum Ende der rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen verkündete die GESOBAU ein zweijähriges Moratorium. »Es gilt zunächst das Wort des Vorstandsvorsitzenden Jörg Franzen: Keiner wird vertrieben«, sagt Gothe. Eben auch das Gewerbe nicht.

Auch die nahe gelegene Wiesenburg war nach Übernahme durch die landeseigene degewo 2015 als Künstlerrefugium bedroht. »Am Anfang war die Kommunikation mit der degewo sehr schwer«, berichtet Heather Allen vom Mieterverein »Die Wiesenburg«. Seit dem Regierungswechsel höre sie immerhin zu. »Ob es so umgesetzt wird, muss sich noch zeigen«, sagte die Bildhauerin.

»Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften waren in den letzten Jahren darauf geeicht, Klötze zu bauen«, sagt Tobias Schulze, Parlamentarier der LINKEN im Abgeordnetenhaus. »Ich hoffe, dass wir eine Grundstücksteilung hinbekommen. Einerseits die Wohnungsbaufläche, und die Wiesenburg separat«, so der Linkspolitiker.

»Nur die selbstverwalteten Atelierstandorte sind langfristig gesichert«, lautet das Fazit von Florian Schöttler, der lange Jahre Berliner Atelierbeauftragter war. Damit widerspricht er den Ansichten Ephraim Gothes.

Endpunkt der Demo ist der gefährdete Kulturstandort Uferhallen. Die ehemaligen Werkstätten der Verkehrsbetriebe wurden kürzlich für über 26 Millionen Euro verkauft. Auch das Land hatte mitgeboten, musste aber beim Verkehrswert von rund zwölf Millionen Euro aussteigen. »Schwer zu glauben, dass die Investoren das Geld nur dafür einsetzen, die Hallen künftig weiter günstig zu vermieten«, sagt Gothe.

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