Tegel gefährdet Schulausbau

Ein Weiterbetrieb des Nostalgie-Airports stellt Bildungsstandorte in vier Bezirken infrage

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wenn der Flughafen Tegel offen bleiben sollte, wäre es fraglich, ob Kitas oder Schulen in der künftigen Fluglärmschutzzone neu errichtet werden können«, sagt Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Dann muss sie eine Pause machen, denn ein zum Landeanflug ansetzendes Passagierflugzeug macht für lange Sekunden jedes Gespräch unmöglich - zumindest, wenn man nicht schreien will. Sie steht nämlich an diesem Mittwochnachmittag im Hof der Katholischen Kita St. Georg an der Breiten Straße in Pankow, mitten in der Einflugschneise des Nostalgie-Airports.

An Günthers Seite steht Jugend-Staatssekretärin Sigrid Klebba (SPD). »Heute ist Weltkindertag«, erinnert sie. »Eine wichtige Forderung der UN-Kinderrechtskonvention ist es, für ein gesundes Aufwachsen zu sorgen. Lärm steht dem entgegen«, so Klebba weiter. Die nächste Maschine dröhnt über die Runde hinweg. Natürlich sei es im Gebäude des Kindergartens leiser, und dort sei auch der Einbau von Schallschutzvorrichtungen möglich. »Aber der Aufenthalt im Garten ist ein wichtiger Teil des Bildungsprogramms«, sagt die Staatssekretärin.

Gerade in Pankow, einem der beliebtesten Bezirke für Familien, ist auch der Ausbau der bestehenden Bildungsinfrastruktur notwendig. Noch ist der möglich, denn im zuletzt 2007 novellierten Fluglärmschutzgesetz gibt es eine Ausnahme für Tegel. Sollte der Flughafen bis Ende 2019 geschlossen werden, müssten auch keine Lärmschutzzonen festgelegt werden. In diesen Schutzzonen wäre der Bau lärmempfindlicher Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser nicht zulässig. »Allein für Pankow sind zehn Schulneubauten geplant, die von diesem Verbot betroffen wären«, erklärt Klebba. Unter anderem die auf dem ehemaligen Güterbahnhof Pankow vorgesehenen Projekte. »Das hätte aber auch Auswirkungen auf geplante Standorte in Reinickendorf, Spandau und sogar Teilen von Mitte«, verdeutlicht die Staatssekretärin die Dimension.

In den Einflugschneisen des Flughafens Tegel sind aktuell fünf Schulen und elf Kitas einem Lärmpegel von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt. Das entspricht etwa dem Geräuschpegel einer Nähmaschine. Ein Wasserkocher beschallt seine Umgebung mit etwa 70 Dezibel. Ganze 56 Schulen und 39 Kindergärten im Umfeld des am Innenstadtrand gelegenen Flughafens sind einem Schalldruck zwischen 60 und 65 Dezibel ausgesetzt. Ein zehn Meter entfernter Rasenmäher zum Vergleich erzeugt 60 Dezibel.

Rund drei Stunden pro Tag verbringen die 65 Kinder in St. Georg draußen, berichtet Kitaleiterin Silke Uhlmann. Im Durchschnitt alle drei bis vier Minuten überfliegt ein Flugzeug den Garten. »Das sind drei Stunden in extremer Wachstellung für uns«, sagt Uhlmann. Weder könne man während der Überflüge hören, wenn Kinder um Hilfe riefen, noch könne man sie in dieser Zeit selber warnen. »Ein Mittagsschlaf bei geöffnetem Fenster ist im Sommer auch unmöglich«, erklärt die Erzieherin. Dazu komme noch der Dreck, den die Flugzeuge verursachen. »Wir müssen die Fenster sehr oft putzen.«

Kerstin Falks Kinder besuchen eine nahe gelegene Schule. »Mit viel Aufwand haben wir dort, im Vertrauen auf eine baldige Schließung Tegels, ein Grünes Klassenzimmer angelegt. Doch wegen des Lärms kann es überhaupt nicht genutzt werden«, erzählt sie. Für alle Anwesenden ist klar, dass sie bei der anstehenden Volksabstimmung zu Tegel am Sonntag mit »Nein« votieren werden.

»Kindern eine Stimme geben«, so lautet das diesjährige Motto des Weltkindertags. »Denken Sie bitte daran, bevor Sie am Sonntag abstimmen«, sagt Sigrid Klebba noch, bevor das nächste Flugzeug ihre Worte verschluckt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal