Dreckschleuder auf Konsolidierungskurs

Italiens Stahlindustrie beginnt sich nach schwierigen Jahren wieder zu erholen

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach Jahren der Rezession beginnt sich die italienische Eisen- und Stahlindustrie zu erholen. Dies ist das Fazit der Jahreshauptversammlung der Branchenvereinigung Federacciai in Mailand. Im ersten Halbjahr 2017 wurden 14,471 Millionen Tonnen Rohstahl in Italien produziert, das entspricht einem Anstieg um 1,6 Prozent. Damit konnten die für die verarbeitende Industrie notwendigen Importe um 3,4 Prozent gesenkt und die Exporte gleichzeitig um 1,7 Prozent gesteigert werden - alles in allem eine gute Bilanz.

Auch für die kommenden Jahre stehen die Zeichen auf Wachstum. Der zweitgrößte Metallurgiestand-ort in Europa nach Deutschland gewinnt demnach an Stabilität. Verbandspräsident Antonio Gozzi macht sich dennoch Sorgen: Zum einen mache die EU Druck, die verbindlichen Umweltstandards einzuhalten, zum anderen warne die italienische Wettbewerbsbehörde vor zu großen Zusammenschlüssen.

Dies gilt vor allem dem einzigen Unternehmen Europas, in dem vom Erz bis zum fertigen Stahl alles geschmolzen wird: dem Ilva-Komplex im süditalienischen Tarent. Der traditionsreiche Standort soll nicht nur in Zukunft weiter produzieren, sondern auch noch expandieren. Von derzeit 5,7 Millionen Tonnen Stahl - dem größten Anteil der italienischen Produktion - soll die Menge bis 2024 auf 8 Millionen Tonnen jährlich gesteigert werden. Dafür will das Konsortium ArcelorMittal-Marcegaglia, welches das Werk erst kürzlich übernommen hat, 1,4 Milliarden Euro investieren, davon den größten Teil in Umweltschutzmaßnahmen.

Ilva Taranto gilt seit Langem als eine der schlimmsten Giftschleudern Europas, nirgendwo anders in Italien ist die Krebs- und Sterblichkeitsrate bei Kindern so hoch wie im Umfeld von Tarent. Dennoch hängt die ganze Region von der Stahlkocherei ab. Das Werk wurde ursprünglich von der Industriellenfamilie Riva betrieben, bevor es unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt und dann verkauft wurde.

Neben der dramatischen Umweltproblematik ist an dem Standort in Apulien das Arbeitskräfteproblem zu lösen. Bislang waren bei Ilva 14 000 Mitarbeiter zuzüglich der 5000 Beschäftigten in der Zulieferindustrie in Arbeit. Dem Sanierungsplan des internationalen Konsortiums zufolge soll die Gesamtzahl auf 10 000 Mitarbeiter reduziert werden. Ein Plan, der die Gewerkschaften auf die Barrikaden treibt.

Auch der andere große Standort Piombino in Mittelitalien, betrieben vom Unternehmen Aferpi, ist pro-blembehaftet. Verhandlungen der italienischen Seite mit dem algerischen Eigner Issad Rebrab schlugen fehl: Versprochene Investitionen wurden nicht eingehalten, nicht einmal Pläne legten die Nordafrikaner vor. Jetzt allerdings setzen die Toskaner Hoffnungen auf den indischen Mischkonzern JSW, der das Rennen um Ilva verlor, nun aber für Piombino vor den Interessenten British Steel, Liberty House, Voestalpine und Danieli liegen soll. 400 Millionen Euro sollen investiert werden, um die Hochöfen für den europäischen Markt wieder in Gang zu bringen und 1800 Arbeiter zu beschäftigen.

Problematisch für die Branche sind die Dumpingimporte aus dem Ausland, vor allem aus China. Die italienischen Werke decken derzeit nur 25 Prozent des einheimischen Stahlbedarfs, weil ausländische Produzenten deutlich günstigere Preise anbieten. Stahlverbandspräsident Gozzi hofft daher auf Maßnahmen der EU und meint, man könne »hier durchaus von US-amerikanischen Regelungen lernen«.

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