Mit nichts zum Hauptstadt-Titel

Deutsche Bewerber für europäische Kulturmetropole 2025 suchen Schulterschluss

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Niedersachsens Landeshauptstadt sucht den Fluch zur Tugend zu münzen. »Hannover hat nichts« - mit dieser provokanten Parole bewirbt sich die Kommune als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2025. Im Krieg verlor die Stadt fast alle historischen Gebäude; sie sei heute »eine Art Gemischtwarenladen«, sagt Melanie Botzki vom Kulturhauptstadtbüro. Dort hofft man, die Bewerbung könne bei der Suche nach einer neuen Identität helfen.

Hannover ist nicht allein. Mindestens elf Städte interessieren sich für den Titel, der 2025 nach 15 Jahren erneut nach Deutschland vergeben wird: Zuletzt trug ihn Essen 2010. Magdeburg und Chemnitz sind bereits im Rennen, Nürnberg und das 2010 noch unterlegene Kassel. Städte wie Pforzheim überlegen; anderswo steht der offizielle Beschluss der Stadträte aus, so in Koblenz oder auch in Hannover, wo er freilich als Formsache gilt. In Gera mühen sich Bürger, eine Bewerbung in Gang zu setzen. Abgeschlossen wird die Liste erst 2019, wenn die Bewerbungsmappen einzureichen sind.

Das klingt nach hartem Wettbewerb und Versuchen, die Mitbewerber auszustechen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Interessenten trafen sich jetzt in Dresden zu einer »Konferenz der Konkurrenten«. Der Begriff sei dabei sportlich zu sehen, sagt Annekatrin Klepsch (LINKE), Kulturbürgermeisterin der Landeshauptstadt von Sachsen, die ebenfalls den Titel anstrebt. Der Wettbewerb könne »Katalysator und Beschleuniger« sein - und zwar für alle Beteiligten. So könne man lernen, wie unterschiedlich Städte mit ähnlichen Problemen umgehen. Zudem könne man gemeinsam von Erfahrungen aus früheren Bewerbungen profitieren - von erfolgreichen wie in Marseille oder gescheiterten wie im dänischen Sønderborg, über die in Dresden berichtet wurde.

Der Anspruch an den Titel hat sich seit der erstmaligen Vergabe 1985 gewandelt. Anfangs standen große Metropolen im Mittelpunkt: Athen, Paris, Madrid. Es folgten bunte Kunstfeste wie 1999 in Weimar. Später richtete sich die Aufmerksamkeit auf Kommunen im Strukturwandel, wie ihn Essen oder das tschechische Plzeň durchlebten. Für die Jahre ab 2020 wurden die Kriterien neu gefasst; es gehe stärker um »weiche Faktoren« wie kulturelle Teilhabe, sagt Klepsch. Dresden geht nicht mit Verweis auf berühmte Museen und Theater ins Rennen. Die Bewerbung solle vielmehr helfen, zu einem »kulturvollen Miteinander« in der Stadt zu finden, die vom Streit um Waldschlösschenbrücke und UNESCO-Welterbetitel ebenso tief gespalten wurde wie von den Debatten um Pegida.

In dem zweistufigen Bewerbungsverfahren, in dem eine europäische Jury 2020 aus den deutschen Bewerbungen zunächst eine »Shortlist« mit etwa drei Bewerbern kürt, bevor ein Jahr später die endgültige Entscheidung fällt, werde zudem Wert auf Nachhaltigkeit gelegt, sagt Klepsch: »Es geht sowohl um die Frage, was nach dem Hauptstadtjahr 2025 aus den Projekten wird, als auch um einen Plan B für den Fall, dass man scheitert.« Nürnberg etwa hofft, dass bereits die Bewerbung bei den eher wenig selbstbewussten Franken zu mehr Mut führt. Das Bewerbungsbüro verteilt in der Stadt neongelbe Warnwesten mit dem Aufdruck: »Pack mers!« - sinngemäß: Wir schaffen das!

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