Werbung

In drei Minuten ist alles vorbei

Nordrhein-Westfalen: Sven Strzelczyk fällt im Auftrag der Forstbehörde 600 Bäume im Jahr

  • Christoph Driessen, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

59 Jahre hat der Baum Licht eingefangen, Wasser aufgesaugt, sich zum Himmel gestreckt und seine Wurzeln in der Erde ausgedehnt. 59 Jahre hat er seinen Platz im Kölner Königsforst verteidigt, 26 Meter ist er groß geworden. Und nun hat ihn jemand mit einem roten Punkt markiert. Das bedeutet: »Den schneiden wir ab!«

Länger als drei Minuten werde er für das Umlegen der Fichte nicht brauchen, sagt Forstwirt Sven Strzelczyk. Der 32-Jährige muss es wissen, denn er fällt im Auftrag der Forstbehörde Wald und Holz NRW etwa 600 Bäume im Jahr. Auf dem linken Unterarm hat er sogar zwei überkreuzte Äxte eintätowiert.

Warum muss ausgerechnet dieser Baum fallen? Strzelczyk deutet auf eine benachbarte Fichte mit einem weißen Punkt auf der Rinde. »Weil er Bedränger eines Zukunftsbaumes ist. Er soll dem Zukunftsbaum Platz machen, damit der sich besser entwickeln kann. Der Zukunftsbaum hat eine deutlich bessere Stammform, eine deutlich höhere Holzmasse und eine besser ausgebildete Krone.«

Das Baumfällen beginnt mit einem merkwürdigen Ritual. Strzelczyk - bärtig, kräftig, kernig - geht vor dem Baum in die Hocke, streckt beide Arme vor sich aus und schwingt hoch. Er lotet die Fallrichtung aus. Schon heult die Motorsäge auf. Späne fliegen, binnen Sekunden hat Strzelczyk eine tiefe Kerbe in den Fichtenstamm getrieben. Man kann die Jahresringe sehen. Dann wird der Stamm auch von der anderen Seite angesägt. »Nennt sich Zwo-Drittel-ein-Drittel-Technik. Das heißt, ich führe zwo Drittel des Fällschnittes zuerst, setze dort einen Keil, und schneide den Fällschnitt dann fertig, und anschließend keile ich den Baum um.«

Holzfäller haben ihre eigene Sprache. Übersetzt heißt das Gesagte in etwa: Man sägt in die gewünschte Fallrichtung des Baums ein sogenanntes Fallkerb, eine Art Kerbe am Baumfuß. Der Stamm sieht dann aus, wie eine Apfelsine, aus der man ein Stück herausgebrochen hat. Dann wird der Baum von der hinteren Seite so weit eingesägt, dass nur ein schmales Band der Baumfasern stehen bleibt. Das ist die sogenannte Bruchleiste. Sie wirkt wie ein Scharnier, über das der Baum kippen wird. Um den Baum in die Fallphase zu bringen, werden von hinten Aluminium- oder Plastikkeile eingesetzt und mit einem Spalthammer in den Schnitt eingeschlagen. Sie heben den Baum an, so dass er über den Lotpunkt gehoben wird und in die vorgesehene Lücke zwischen den anderen Bäumen fällt. »Der Baum soll genau dahin fallen, wo ich den haben will«, sagt Strzelczyk. »Ich sag dem Baum: Du gehst jetzt dahin - und dann macht er das auch.«

Die Axtschläge hallen durch den Wald. Bevor es soweit ist, ruft Strzelczyk zweimal vorschriftsgemäß: »Achtung! Baum fällt!« Faszinierend ist: Zwischen dem letzten Schlag und dem Fall vergehen ein paar Sekunden. Da ist es ganz still. Nichts bewegt sich. Dann beginnt der Riese zu knacken und neigt sich zur Seite, bis er knisternd auf dem Waldboden aufschlägt. Ein paar Zweige rieseln von oben nach - und das war's schon.

Älteren Zeitgenossen mag ein Hit aus dem Jahr 1968 in den Sinn kommen: »Mein Freund der Baum ist tot. Er fiel im frühen Morgenrot«, sang Alexandra damals. »Du wirst dich nie im Wind mehr wiegen. Du musst gefällt am Wege liegen ...«

Strzelczyk sieht die Sache etwas nüchterner. »Wenn ich Mitleid mit dem Baum hätte, den ich abschneide, wäre ich hier fehl am Platze«, sagt er. »Wir arbeiten nachhaltig, wir betreiben keinen Kahlschlag. Wir wollen stabile, klimawechselangepasste Mischwälder erzielen, und dazu gehört auch diese Pflegemaßnahme.«

Nicht jeder würde da zustimmen: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält es für einen großen Irrtum, zu glauben, man müsse den richtigen Wald durch Forstexperimente erst noch entwickeln. Solche »Forstplantagen« verdienen in den Augen der Naturschützer noch nicht einmal den Namen »Wald«. Es prallen da Weltanschauungen aufeinander.

Sven Strzelczyk ist sich sicher, dass er dem Wald etwas Gutes tut. »Wenn ich am Ende des Tages hier stehe und mir anschaue, was ich alles getan habe, empfinde ich schon ein Stück Befriedigung.« dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal