Wächst zusammen, was zusammengehört?

Grüne Realos hoffen auf Posten in einer Jamaika-Koalition. Parteilinke sind skeptisch, schließen aber nichts aus

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Sondierungsgesprächen mit Union und FDP steht aus Sicht der Grünen nichts im Wege. Neben den Realos ist auch der linke Flügel der Partei mehrheitlich für die anstehenden Verhandlungen bereit. Die sächsische Bundestagsabgeordnete Monika Lazar sagte dem »nd«, dass man »unter Demokraten« gesprächsfähig sein müsse. »Wenn wir das nicht wären, wäre das unverantwortlich gegenüber den Wählerinnen und Wählern.« Lazar kann sich eine Jamaika-Koalition zwar nur schwer vorstellen und ist keine Freundin eines solchen Bündnisses, »aber die Aufnahme der Gespräche ist konsequent, weil wir vor der Wahl nur ausgeschlossen haben, mit der AfD zu sondieren«.

Die Grünen-Politikerin verwies auf den Zehn-Punkte-Plan, in dem ihre Partei Schwerpunkte des Wahlprogramms zusammengefasst hat. »Zwar ist die ökologische Modernisierung für uns zentral, aber wir sollten uns nicht darauf verengen«, forderte Lazar. Die Grünen müssten betonen, »dass wir auch eine weltoffene, proeuropäische und soziale Politik wollen. Wir müssen etwa Lösungen für das Problem der Altersarmut finden, die auch im Osten verbreitet ist.«

Ähnlich vage äußerten sich auch andere linke Grüne. Der neu in den Bundestag gewählte nordrhein-westfälische Landeschef Sven Lehmann forderte im WDR eine »humane Flüchtlingspolitik« und eine »Abkehr von der harten Sparpolitik«. Sein Fraktionskollege Wolfgang Strengmann-Kuhn schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: »Wir müssen in Verhandlungen deutliche Bewegung in Richtung Garantierente, Bürgerversicherung und gegen prekäre Beschäftigung hinkriegen.«

Rote Linien oder Vorbedingungen für die Verhandlungen wollte keiner von ihnen formulieren. Wie sie zu einer möglichen schwarz-gelb-grünen Koalition stehen, wird man erst erfahren, wenn Ergebnisse der Gespräche zwischen den Parteien vorliegen. Ende Oktober soll ein Parteitag der Grünen über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Wenn dann wenige Wochen später ein Vertrag vorliegen sollte, muss noch die Basis darüber abstimmen.

In der Bundestagsfraktion der Grünen hat sich bisher nur die Berlinerin Canan Bayram deutlich gegen ein Zusammengehen mit Union und FDP ausgesprochen. Sie sagte am Montag, dass sie eine solche Koalition nicht unterstützen werde, weil sie fürchte, dass die Grünen ihr eigenes Programm bei den Themen Asyl, Umwelt und Bürgerrechte aufgeben werden. Einzelne Abweichler im Parlament würden die Arbeit des Bündnisses jedoch nicht gefährden. Schwarz-Gelb-Grün würde im Bundestag über 393 von insgesamt 709 Sitzen verfügen.

Die Grünen werden seit der Spitzenkandidatenurwahl zu Beginn dieses Jahres vom Realoflügel dominiert. Das Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt dürfte beste Aussichten auf Ministerposten haben, wenn ein Koalitionsvertrag zustande kommen sollte. An den Sondierungen werden zuvor beide Flügel beteiligt. Wichtigste Vertreter der Parteilinken im 14-köpfigen Verhandlungsteam sind der frühere Umweltminister Jürgen Trittin und Fraktionschef Anton Hofreiter. Allerdings sind beide zuletzt auf Forderungen der Realos eingegangen. Sie stimmten wenige Wochen vor der Bundestagswahl zu, dass in dem Zehn-Punkte-Plan der Partei die Forderungen nach einer Wiederbelebung der Vermögensteuer und der Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen keine Rolle spielen, obwohl diese Punkte Teil des Wahlprogramms sind. Hofreiter gilt zudem wegen seiner Niederlage bei der Spitzenkandidatenurwahl als geschwächt. Trittin ist seit vier Jahren nur noch einfacher Abgeordneter.

Für das Team sind zudem Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck, Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann, die ehemaligen Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer, die aktuelle Parteichefin Simone Peter, Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sowie die Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock, Agnieszka Brugger und Katja Dörner vorgesehen. Die Leitung der Gespräche liegt bei den Spitzenkandidaten Göring-Eckardt und Özdemir. Am Samstag soll ein Kleiner Parteitag der Aufnahme der Sondierungsgespräche zustimmen.

Auch in der Parteibasis regt sich bislang kaum Widerspruch gegen die Gespräche. Jamila Schäfer, Sprecherin der Grünen Jugend, die kürzlich in einem Beschluss die CSU als »reaktionär und rassistisch« beschrieben hatte, sagte dem »Spiegel Online«- Ableger »Bento«, dass sie sich »schwer vorstellen« könne, mit Horst Seehofer, Joachim Hermann (beide CSU) oder auch mit FDP-Chef Christian Lindner zusammenzuarbeiten. Sie forderte zwar konkret unter anderem den Stopp der Rüstungsexporte in Länder wie Saudi-Arabien und Katar, schloss aber eine Koalition nicht aus.

Dagegen hat eine kleine Gruppe, die sich unabhängige Grüne Linke nennt, im Internet einen Aufruf gegen die sich abzeichnende Jamaika-Koalition veröffentlicht. Einer der Unterzeichner ist der Rheinland-Pfälzer Karl-Wilhelm Koch, der öfter mit Anträgen gegen den Kurs der eigenen Führung bei Parteitagen von sich reden macht. Er und seine Mitstreiter meinen, dass es absehbar sei, dass die Grünen in der Asylpolitik die »Obergrenze« der CSU mittragen müssten. Zudem kritisieren die Basisgrünen, dass in dieser Konstellation die notwendige Klimaschutzpolitik kaum möglich sei. Ihr Alternativvorschlag, eine Minderheitsregierung zu unterstützen, wenn diese einen »deutlich an grünen Zielen orientierten Klimaschutz im Regierungsprogramm festschreibt«, ist indes fernab der politischen Realität. Wenn keine stabile Regierung zustande kommen sollte, wären vielmehr Neuwahlen wahrscheinlich. Die will bei den Grünen auch deswegen niemand, weil dann eine weitere Stärkung der AfD droht.

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