Menschheit in der Mülltonne

Im Silicon Valley wird hart daran gearbeitet, den Tod zu besiegen. Von Wolfgang M. Schmitt

  • Wolfgang M. Schmitt
  • Lesedauer: 6 Min.

Unordentlich gelebt, aber ordentlich gestorben«, soll der Anarchist Michail Bakunin als letztes Wort der Nachwelt hinterlassen haben. Der Maler Jean-Baptiste Camille Corot hoffte in seiner Sterbestunde »von Herzen, daß man im Himmel malen kann«. Und sein Kollege Auguste Renoir war sich im Angesicht des Todes sicher: »Ich mache immer noch Fortschritte.« Gesammelt hat diese letzten Worte der Schriftsteller Ernst Jünger, der zwar nicht unsterblich war, aber immerhin 102 Jahre alt wurde. Jünger hoffte mit dieser ungewöhnlichen Sammelleidenschaft dem Geheimnis des Todes auf die Schliche zu kommen - als könnte die Todesnähe den Menschen näher zur Wahrheit über seine Existenz führen. 2013 hat Jörg Magenau diese hübsche Anthologie letzter Worte als Büchlein bei Klett-Cotta herausgegeben. Überraschend ist, wie viele Persönlichkeiten sich offenbar freudig mit ihrem baldigen Ende abgefunden haben: »Mir ist ganz gut«, gab Hugo von Hofmannsthal kund, Karl Valentin bewies mit seinem Ausruf »Wenn ich gewußt hätte, daß Sterben so schön ist …« Humor, und Charles Darwin zeigte sich unbeeindruckt: »Es schreckt mich nicht im geringsten zu sterben.«

Heute erscheinen solche Haltungen zum Tod wie aus der Zeit gefallen. Mehr noch: Möglicherweise wird es bald keine letzten Worte mehr geben, weil niemand mehr stirbt. Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist zwar kein neuer, aber er könnte in naher Zukunft Wirklichkeit werden. Das behaupten zumindest die Transhumanisten, die angetreten sind, den Tod endgültig zu besiegen. Zugegeben: Das klingt nach Science-Fiction, nach Arnold-Schwarzenegger-Filmen und Comicheftchen, doch das gerade erschienene Buch »Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen« von Mark O’Connell zeigt, wie wenig fiktiv diese Wissenschaft ist. Der renommierte Journalist begibt sich in seiner 280-seitigen Reportage auf eine Reise rund um die Welt, um sich mit den Wissenschaftlern, Theoretikern und Unternehmern zu treffen, die daran arbeiten, die Sterblichkeit des Menschen zu überwinden. »Unsterblich sein« ist ein spannendes, lehrreiches und beängstigendes Buch. Interessanter als jeder Science-Fiction-Roman.

Vor Jahren wird O’Connell auf die Transhumanisten aufmerksam - eine Mischung aus Faszination und Abscheu veranlasst ihn, dieser Weltanschauung nachzugehen, der zufolge der Mensch aus Fleisch und Blut überwunden oder wenigstens optimiert werden muss. Der Tod ist für den Transhumanismus kein Schicksal, sondern lediglich ein Problem, das bislang noch nicht gelöst werden konnte. Vor allem im kalifornischen Silicon Valley sind Wissenschaftler wie Unternehmer erpicht darauf, den Menschen, wie wir ihn bislang kannten, abzuschaffen und ihn in eine neue Existenzweise zu überführen. So will etwa Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google, das menschliche Gehirn - und damit das Bewusstsein, das laut Kurzweil wie ein Computer funktioniert - in eine digitale Cloud hochladen, um es so vom vergänglichen Körper zu befreien. Andere Wissenschaftler wiederum frieren Menschen auf Wunsch komplett ein, um sie, sobald der technische Fortschritt ewiges Leben ermöglicht, wieder aufzutauen. Das Unternehmen Alcor, in der Peripherie von Phoenix, verspricht seinen Kunden eine solche kryostatische Lagerung. O’Connell besucht die Firma mitten im einstigen Wilden Westen, »der immer schon eine Todeslandschaft war«, und traut kaum seinen Augen: »Alcor wurde als Herberge für die Leichen von Optimisten gebaut; die Stille dort strotzte vor Ironie.«

Doch der Autor bleibt nie beim bloßen Staunen, auf den ersten Seiten macht er klar, dass der Transhumanismus »die Intensivierung einer Tendenz« darstellt, »die bereits in weiten Teilen unserer Mainstreamkultur gegenwärtig ist, die wir auch gleich als Kapitalismus bezeichnen könnten«. Und diese Unsterblichkeit ist alles andere als billig: O’Connell spekuliert, wie der transhumanistische Klassenunterschied ein paar Jahrzehnte später aussehen könnte: »Was wäre, wenn der Weg zur Unsterblichkeit, die Emulation und die digitale Speicherung, so teuer wurde, dass das werbefreie Premium-Abo nur für die Superreichen erschwinglich war und wir anderen Loser uns damit begnügen mussten, unsere fortwährende Existenz durch regelmäßige Eingriffe in unsere Gedanken, Emotionen oder Wünsche von oben, durch eine externe kommerzielle Quelle zu finanzieren in einem teuflischen Werbepakt des Selbst?« Möglich, gibt ein Forscher zu, wäre es.

Doch, wird man einwenden, es gibt angesichts des nun durch das Bundestagswahlergebnis klar bezifferbaren Rechtsrucks wichtigere beziehungsweise drängendere Probleme, derer sich Linke annehmen müssen - allerdings könnte diese Kurzsichtigkeit langfristig betrachtet fatale Folgen haben. Noch erscheinen die Rechten hierzulande als Ewiggestrige, die an völkischen und rassistischen Ideologien aus dem 19. und 20. Jahrhundert festhalten wollen. Dabei könnte bereits bald eine neue Form des Rassismus drohen. Ließen sich etliche Nazis einst von kruden sozialdarwinistischen Theorien anregen, könnte den neuen Rechten künftig der Transhumanismus als Inspirationsquelle dienen: In manchen rechten amerikanischen und britischen Kreisen träumt man von einem Rassismus 2.0. Mithilfe neuer Möglichkeiten der Eugenik und der Digitalisierung wollen sie die weiße Rasse optimieren und konkurrenzfähig machen für die Zukunft. Die transhumanistischen Optimierungsbestrebungen decken sich bisweilen auf besorgniserregende Weise mit Herrenmenschenfantasien. Was, wenn künftig die Rechten ihre völkischen Absichten mittels Gentechnik in die Tat umsetzen? Was, wenn die Androhung »Neue Deutsche? Machen wir selber!« auf einem AfD-Plakat irgendwann mit digitaler Technologie wahrgemacht wird?

Unsterbliche Cyborg-Arier dürften die Fantasien der Rechten, die ohnehin häufig technikaffin sind, beflügeln. In seinem Buch lässt O’Connell nicht nur die unheimlichen Propheten, sondern auch ihre Kritiker zu Wort kommen - wie etwa Nate Soares, den Direktor des Machine Intelligence Research Institute in Berkeley. Er sieht die größte Gefahr in der Entwicklung von künstlichen Intelligenzen (KI), die die Menschheit in der »Mülltonne der Geschichte« entsorgen könnten. Eine überlegene KI könnte den Mensch aufgrund seiner Mängel als störendes Element wahrnehmen und einfach aussortieren. Kaum jemand investiert derzeit in Sicherheitsmaßnahmen, klagt er, stattdessen werden Milliarden in die Entwicklung von KI gesteckt.

In der Politik spielen solche Erwägungen keine Rolle. Ausgerechnet die Partei, die sich einst aus einem fortschrittskritischen Impuls gründete, schweigt besonders lautstark: Die Grünen sind, vermeiden wir das hässliche Wort »Markenbildung«, gerade auf Sinnsuche, nachdem die Ehe für alle eingeführt ist und Angela Merkel die Atomkraftwerke abschalten ließ. Es stünde einer sich ökologisch verstehenden Partei gut zu Gesicht, zum digitalen Fortschritt kritisch Position zu beziehen, anstatt sich auf das Posten von Instagramfotos und den Widerstand gegen Genmais zu kaprizieren. Denn der Super-GAU der Zukunft ist kein atomarer, sondern ein digitaler: Der Unternehmer Elon Musk bezeichnete die KI als »die größte existenzielle Bedrohung für uns«, und Stephen Hawking ist sich sicher, dass die KI das »größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit« sein wird, vielleicht aber »auch das letzte, wenn wir nicht lernen, die Risiken zu vermeiden«.

Mark O’Connell: Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen. Hanser, geb., 299 S., 24€.

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