Risse im Land
Forscher warnen vor Vernachlässigung von Regionen - nicht nur in Deutschland
Berlin. Umfragen zufolge wächst der Anteil der Menschen, die »gesamtdeutsch« denken, für die der Unterschied zwischen Ost und West schlicht nicht mehr existiert. Nach der Wahl vom letzten Sonntag allerdings und dem enormen Erfolg der AfD gerade in Ostdeutschland wird die Frage nach dem Unterschied von Ost und West wieder lauter. Belege gibt es. Große Unternehmen haben ihren Sitz im Westen, die Arbeitsproduktivität Ost erreicht 74 Prozent der westlichen, die ostdeutsche Arbeitslosenquote (9,8 Prozent) liegt vier Prozent über der im Westen, die privaten Vermögen im Osten sind halb so groß wie die im Westen.
Es gibt weitere Ursachen für Menschen, sich abgehängt zu fühlen - eine wachsende Kluft etwa zwischen urbanen Zentren und ländlichen Regionen. Die AfD schnitt auch in Dörfern gut ab, in denen die sozialen Angebote verschwunden sind. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen, wie eine nd-Recherche im ostsächsischen Dürrhennersdorf zeigt, wo die AfD auf 45,1 Prozent kam.
Wissenschaftler stützen den Befund und erweitern ihn auf den Rechtsruck in EU-Europa. Die Brüsseler Politik fördere eine wachsende regionale Ungleichheit, so ihre Kritik auf einer Konferenz in Leipzig. Die Lissabon-Agenda setze auf Wettbewerbsfähigkeit statt soziale Aspekte. Eine »Abwanderungskultur« sei die Folge, die Zurückbleibenden fühlten sich vom Staat alleingelassen - und wendeten sich in ihrer Resignation oft Rechtspopulisten zu. Die Wissenschaftler fordern eine Wende und mehr Mittel für Regionalentwicklung. Leipzigs Oberbürgermeister dürfte sich davon ermutigt sehen. Man habe das Sparen im Land Sachsen zum Selbstzweck erhoben, um sich den Titel »Musterland« anheften zu können, wirft Burkhard Jung (SPD) der Landesregierung auf der Homepage der Stadt vor. In Wirklichkeit lasse das Land die Seinen allein. nd Seite 4
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