Heile Welt rund um den Pfanni-Turm

Die niedersächsische Kleinstadt Cloppenburg ist jung und konservativ

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 7 Min.

Wer mit dem Zug in Cloppenburg ankommt, dem fällt ein rechteckiger, fast 80 Meter hoher Kasten auf, der das verblasste Logo des Lebensmittelherstellers »Pfanni« trägt. Der Pfanni-Turm gehört zu den Wahrzeichen der niedersächsischen Stadt. Die Band Element of Crime besingt den Turm in einem ihrer Lieder: »Was für Cloppenburg Pfanni ist, bist du für mich.«

Doch Pfanni ist aus Cloppenburg verschwunden. Das Gelände, auf dem der Turm steht, wird seit 17 Jahren von der Firma »Emsland Food« bewirtschaftet. Dort werden Kartoffelflocken hergestellt.

Landwirtschaft und die Weiterverarbeitung von landwirtschaftlichen Gütern gehört zu den Gründen für die starke Wirtschaft im Nordwesten Deutschlands. Rund um Cloppenburg gibt es neben dem klassischen Ackerbau zahlreiche Schweinemast- und Geflügelzuchtbetriebe. Fast neun Millionen Masthühner werden in dem Landkreis gehalten. Mehr gibt es nur im benachbarten Emsland. Im Landkreis Cloppenburg gibt es einen Mix aus Bauernhöfen und den großen industriellen Betrieben in der Tierhaltung. Dazu kommen zahlreiche Produzenten von Stallanlagen und anderem Zubehör.

Landwirtschaftlich und zufrieden

36 Prozent der Beschäftigten arbeiten hier im »Agribusiness«. Einer von ihnen ist Stefan. An einem warmen Tag sitzt er mit einem Weizenbier und einem Burger vor einem Fast-Food-Restaurant in der Cloppenburger Innenstadt. Er ist Ende 30, sportlich und sieht zufrieden aus. Frau und Tochter hätten ihn hier »abgeladen«, beide seien für den Urlaub einkaufen.

Stefan betreibt einen Bauernhof am Rand von Cloppenburg, er hat ihn von seinem Vater übernommen, ist auf dem Hof groß geworden. »Kein großer Betrieb«, wie er sagt. Drei Leute würden für ihn arbeiten. Hauptsächlich baut er Kartoffeln an, die er weiterverkauft. Außerdem hat er »noch ein bisschen anderes Gemüse«, das würden Markthändler »in der Region« verkaufen. Bevor er den Bauernhof übernommen hat, besuchte er die Fachschule Landwirtschaft in Oldenburg. »Ich bin aber nach der Schule fast immer nach Hause gefahren«, erzählt er lachend, nur manchmal sei er mit Mitschülern »um die Häuser gezogen«.

Seine Frau sei auch Cloppenburgerin. Sie seien auf derselben Schule gewesen und mit Anfang 20 dann zusammengekommen. Cloppenburg, das sei halt Zuhause, antwortet Stefan auf die Frage, ob er die Stadt mag. Nach kurzem Überlegen sagt er dann: »Es ist ruhig hier, das ist gut.« Mit Freunden fahre er manchmal zu Spielen von Werder Bremen, auch auswärts. In der letzten Saison seien sie in Frankfurt gewesen. Eine »bombastische Stadt, mit den ganzen Türmen«, aber auch zu »laut und dreckig«. »Die ganzen Junkies rund um den Bahnhof, da will man doch nicht leben oder Kinder großziehen.« Dann kommen auch schon seine Frau und die Tochter vorbei, vollgepackt mit Einkaufstaschen. Stefan trinkt den letzten Schluck und verabschiedet sich.

Wenig Herausforderungen

Im Landkreis Cloppenburg ist die Bevölkerung mit durchschnittlich 40,1 Jahren relativ jung. Das berichtete vor einiger Zeit das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Damit haben die Menschen in der Gegend ein fast so junges Durchschnittsalter wie Freiburg (39,8 Jahre) und Heidelberg (39,9 Jahre). In den beiden Universitätsstädten leben viele Studentinnen und Studenten, und in Cloppenburg?

Vor etwa zehn Jahren bestimmten Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion die Schlagzeilen über die Stadt, auch überregional. Von »Parallelgesellschaften« war die Rede. Das »Hamburger Abendblatt« taufte ein Neubauviertel »Gorbatschow-Village«, und in der Stadt wurde über russischstämmige Jugendliche diskutiert, die sich im Stadtpark rumtrieben, übermäßig viel Alkohol und harte Drogen konsumierten. Dies habe sich aber geändert, sagt Sabine Uchtmann, Pressesprecherin des Landkreises Cloppenburg. Es habe da mal Probleme gegeben, die auch mit Arbeitslosigkeit zusammenhingen. Die Spätaussiedler, von denen es in Cloppenburg mit seinen 33 000 Einwohnern etwa 8000 gibt, seien für Stadt und Landkreis in den 1990er Jahren eine Herausforderung gewesen.

Erfahrungen, von denen man seit 2015, als auch viele Flüchtlinge nach Cloppenburg kamen, besonders profitiert habe, wie Uchtmann sagt. Die Spätaussiedler seien »unheimlich fleißige Menschen«, viele von ihnen hätten Handwerksbetriebe gegründet. Sie seien auch »ein Gewinn für die Wirtschaft«. Einige von ihnen blieben allerdings auch »außen vor«, etwa im Ort Molbergen gebe es viele Anhänger der Pfingstbewegung, die sehr in ihrer Gemeinde lebten und nicht mal eben »ein Bierchen auf dem Schützenfest« mit den anderen Leuten trinken würden. Besondere Probleme gebe es mit dieser Gruppe aber nicht, sagt Uchtmann.

Ein katholischer Fleck Erde

Eine von den Spätaussiedlerinnen aus Cloppenburg ist Anna. Mit ihren drei Kindern sitzt sie an einem Spielplatz mitten in der Innenstadt. Die Kinder rutschen, sie schaut ihnen zu, wartet auf eine Freundin. Die junge Frau ist in Cloppenburg geboren. Ihre Eltern kamen 1992 aus Kasachstan. »Das hier ist Heimat«, sagt sie. Mit ihren Eltern spricht sie Russisch. Mit ihrem Mann Viktor eine Mischung aus Deutsch und Russisch. Das junge Paar baut gerade ein Haus, viele Freunde und Verwandte helfen dabei. Es sei günstig, hier zu bauen, es gebe verschiedene Förderprogramme. Ihr Haus entsteht direkt neben dem von Viktors Eltern. Auch viele andere Verwandte wohnen in der gleichen Siedlung. Für Anna ist das sehr praktisch, »irgendwer kann immer auf die Kinder aufpassen«, auch sei man abends oft zusammen. Es müsse nicht jeder jeden Tag kochen, sondern da könne man auch mal rüber zu Geschwistern oder Eltern gehen.

Oldenburg Münsterland heißt die Region um Cloppenburg und das benachbarte Vechta. Sie ist ein katholischer Fleck mitten im protestantisch geprägten Niedersachsen. Traditionelle Familienmodelle spielen in der Region eine große Rolle. Dass man sich aufeinander verlassen könne, sei wichtig, sagen so oder ähnlich viele Menschen in Cloppenburg. Vielleicht tragen auch die engen Familienbande zur hohen Geburtenrate im Landkreis bei. Fast 20 Prozent der Menschen leben in Haushalten, in denen drei oder mehr Generationen gemeinsam wohnen. Im deutschen Durchschnitt ist es nur ein Prozent.

Auch Christine Brinkmeier, die Demografiebeauftragte des Kreises, berichtet von der wichtigen Rolle, die die Familienverbände in der Region haben. Es sei typisch, dass sich die Großeltern um die Kinder kümmerten und auch die Altenpflege in der Familie organisiert werde. Kindergartenplätze bleiben in Cloppenburg sogar teilweise unbesetzt. Auch das unterscheidet die Region vom deutschen Durchschnitt.

Wie in den 70ern

Dass es dem Landkreis Cloppenburg heute wirtschaftlich so gut geht, ist kein Zufall. Bis in die 1980er Jahre wurde die gesamte Region stark vom Bund gefördert. Früher galt die Region als Armenhaus von Niedersachsen. Viele Menschen wanderten ab. Diese Entwicklung wurde mittlerweile umgekehrt. Heute geht es der Region gut. Der Arbeitsmarkt bietet einen Mix aus verschiedenen Arbeitsplätzen. Dazu kommt die katholisch geprägte, konservative Bevölkerung, die hier im ländlichen Raum noch sehr nach traditionellen Mustern leben kann.

Einer der Gründe für die vielen jungen Menschen in Cloppenburg ist zweifellos der Lebensstil der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. In der Gemeinde Molbergen bekommt eine Frau im Durchschnitt 2,5 Kinder. Molbergen ist der einzige Ort in Deutschland, der ohne Zuwanderung wachsen würde. Die Spätaussiedler passen sich allerdings, auch was den Nachwuchs angeht, langsam an die Mehrheitsgesellschaft an.

Wer heute durch Cloppenburg spaziert, fühlt sich manchmal an Westdeutschland in den 1970er Jahre erinnert. Vormittags sind fast nur Frauen, viele mit Kindern, in der Stadt zu sehen. Hier gibt es genug Familien, bei denen das Einkommen des Mannes für den Lebensunterhalt reicht. Cloppenburg ist konservativ und damit eine sichere Bank für die CDU. Seit der ersten Bundestagswahl hat sie jedes Mal das Direktmandat geholt. So auch bei der letzten Bundestagswahl. Silvia Breher trat zum ersten Mal für die Union an und wurde mit 57,7 Prozent der Erststimmen gewählt. So ein gutes Ergebnis hat sonst kein Direktkandidat erzielt.

So ein Wahlverhalten will belohnt werden. Mitte August kam Angela Merkel in die Stadt und sprach vor 3000 Zuschauern auf dem Marktplatz. In der benachbarten Münsterlandhalle hatte wenige Tage zuvor eine Schafversteigerung stattgefunden. Es wurde dort zwar kein Schaf aus Cloppenburg versteigert, und auch Schäfer oder Züchter aus der Region nahmen nicht teil, denn es gibt sie kaum noch. Trotzdem findet die Versteigerung seit Jahrzehnten in dem Ort statt. »Weil’s dazugehört«, sagt einer der Organisatoren. Und das beschreibt wohl auch ganz gut die Mentalität der Menschen in der Region.

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