Duftendes vom Grill - mit Senf und allerlei Ulk dazu

Im Thüringer Holzhausen existiert das 1. Deutsche Bratwurstmuseum

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

1404 war ein entscheidendes Jahr in der Geschichte der Menschheit: Jean de Béthencourt erobert in kastilischem Auftrag die Kanarische Insel Fuerteventura. 1404 gründeten kluge Köpfe die Universität Turin und in Bremen wird auf dem Marktplatz der steinerne Roland errichtet. Im selben Jahr fiel König Sigismund von Ungarn in Mähren ein. Doch sein Heer wurde von einer Ruhrepidemie, zu deren Opfern auch Anführer Albrecht zählt, derart dezimiert, dass die Eroberung kläglich endete.

Das alles kann man nachlesen in Büchern oder Wikipedia. Doch ein weit wichtigeres Datum findet sich da nicht: Im Jahr 1404 schlug die Stunde der berühmtesten Thüringerin und damit endete die bratwurstlose Epoche der Menschheit. Man kommt auf diese Jahreszahl, weil ein Probst namens Johann von Siebenleben - er war wirtschaftlicher Verwalter des Arnstädter Benediktinerinnenklosters - am 20. Januar 1404 die Bratwurst in einer Urkunde erwähnt: »1 g vor darme zcu brotwurstin«, ist da vermerkt. In das »Jetztdeutsch« übersetzt, soll das wohl heißen, jemand haben einen Groschen für Därme ausgegeben, die man für die Herstellung von Bratwürsten brauchte.

Diese für die Geschichte der Menschheit entscheidende Erkenntnis - und zahlreiche weitere - kann man erfahren im 1. Deutschen Bratwurstmuseum in Holzhausen. Der Ort im Ilm-Kreis ist nur ein paar Autostunden von der Landeshauptstadt Erfurt entfernt. Doch Vorsicht, wer tatsächlich mit dem Auto anreist, der muss sich auf eine längere Parkplatzsuche vorbereiten. Denn wenn es nicht gerade eimerweise vom Himmel schüttet, ist der Andrang enorm.

Das mag zum einen daran liegen, dass hier - so hat man dem vegetarisch veranlagten Autor mehrfach und unter gierigem Kauen versichert - die besten der sehr guten Thüringer Bratwürste angeboten werden. Noch reizvoller jedoch ist der immense Schabernack, den die Vereinsmitglieder der »Freunde der Thüringer Bratwurst e. V.« mit ihren Gästen treiben. Die haben beruflich fast alle nichts mit der Herstellung oder dem Vertrieb der Fleischrollen zu tun. Sie sind Volkswirte, Tierärzte, Bau- und Elektroingenieure... - und einfach mit Leib und Seele albern. Angeblich hat ein Vereinsmitglied seinen Nachgeborenen noch in der Geburtsklinik als Mitglied angemeldet. Man hält Kontakt zu Freunden der Thüringer Bratwurst rund um den Globus, hat Partner in den USA, in Vietnam, in Australien und natürlich fast allen EU-Staaten.

Stammsitz aber ist jedoch Holzhausen. Hier lädt man ein ins Bratwursttheater mit herrlich albernem Niveau: Kabarett, Lesungen und Kleinkunst, freilich immer in Verbindung mit kulinarischen Genüssen samt Likör. Gleich vor der Spielstätte kann man sich vor einem vom Berliner Karrikaturisten »Dagobert« (alias Arno Funke) geschaffenen Abendmalgemälde ablichten lassen. So ist man in Gesellschaft von allerlei Thüringer Größen wie Thomas Müntzer, Martin Luther, Goethe, Schiller, Lucas Cranach d. Ä., Alfred Brehm, Carl Zeiss, der Kloßmarie und einem Bratwurstkönig, der doch verdammt an den Ex-US-Präsidenten Barack Obama erinnert. Elsa und Walter Rudolf, in der Gegend bekannt als das älteste Thüringer Musikerehepaar »Die grauen Rebellen«, spielen ab und zu einen ganz lockeren Country-Rock.

In einer Ecke des riesigen Areals mit Blick auf die »Drei Gleichen« - das mittelalterliche Burgenensemble - kann man Bratwurstgewürze riechen, schmecken, fühlen, in einer Telefonzelle erzählt der Gegenstand der Begierde höchstselbst ihre Geschichte. In einem kleinen Kino wird mit Plakaten an legendäre Spielfilme erinnert: Ingrid Bergmann und Humphrey Bogart sagen in Casablanca »brat’ mir’s noch einmal, Sam« und 007-Sean Connery kämpft gegen »Bratfinger«.

Angebraten wird auf dem Erfurter Domplatz, es gibt geführte Wanderungen und Bratwurst-Skatturniere. Wenn andernorts Feste der Deutschen Einheit gefeiert werden, findet in Holzhausen eine »Bratwurstiade« statt. Melden können sich Mannschaften mit je drei Teilnehmern, von denen Sinn für Humor, sportliche Leistungsbereitschaft und ein der jeweiligen Geschichte angepasstes Outfit erwartet werden. Eng angelehnt an historische Geschichten sind jeweils vier verschiedene Wettkämpfe zu absolvieren.

Bei allem stößt man in dem herrlich verrückten Museum doch auch auf eine sehr realistische Wahrnehmung der Welt: Vom eisernen Einigungskanzler - nein, nicht Helmut Kohl - von Otto von Bismarck soll der Spruch stammen: »Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.«

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