Hüter des Heiligtums

Marc-André ter Stegen hat das Torwartproblem in der Nationalelf in seinem Sinne gelöst

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zufahrt zur Villa Kennedy ist viel schmaler als ein Fußballtor. Durch knapp vier Meter breite, gusseiserne Eingangspforten zwängen sich die Karossen, die von der Kennedyallee abbiegen, einer an dieser Stelle sechsspurigen Ausfallstraße auf der Südseite des Mainufers in Frankfurt. Konzentration hoch, Augen offen lautet die Devise für jeden Fahrzeuglenker, der auf den Parkplatz der Luxusherberge fahren will. Eine Direktive, die Sinnbild für denjenigen sein könnte, der am Tag der Deutschen Einheit als einer der Ersten zum Treffpunkt der Nationalmannschaft chauffiert wurde: Marc-André ter Stegen. Die vorläufige Nummer eins beim Weltmeister soll im stimmungsvollen Windsor Park von Belfast im vorletzten WM-Qualifikationsspiel am Donnerstag gegen Nordirland aufmerksam das deutsche Heiligtum hüten, um sich als Kronprinz von Manuel Neuer zu etablieren.

Der eigentliche Kapitän bei der Nationalelf, der imaginär den Titel als bester Torwart der Welt trägt, hat nach der mittlerweile dritten Fußverletzung sein Können seit einem Jahr im Dress mit dem Bundesadler nicht mehr gezeigt. Entweder war der 31-Jährige verletzt oder wurde geschont. Dass sich gestern zum Treffpunkt bei der DFB-Auswahl wieder ter Stegen (25 Jahre), Bernd Leno (25) und Kevin Trapp (27) begrüßten, daran haben sich alle fast schon gewöhnt.

Nur: Als sich dieses Dreigestirn Anfang Juni für ein Freundschaftsspiel in Dänemark, ein WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino und den anstehenden Confed-Cup versammelte, galt die Rangfolge hinter Neuer noch als völlig offen. Dann wurde Trapp in seinem ersten und bislang einzigen Länderspiel zwar in Kopenhagen, aber eben nicht in Sotschi, Kasan oder St. Petersburg eingesetzt. Und als Leno beim Confed-Cup-Auftakt gegen Australien doppelt patzte, bekam ter Stegen das Vertrauen, das er vor allem beim Finalsieg gegen Chile zurückzahlte. Nun liegt der gut in die Saison gestartete Keeper, der mit dem FC Barcelona in sieben Ligaspielen erst zwei Mal hinter sich greifen musste, im Ranking vorne und bestreitet morgen sein 17. Länderspiel. Womöglich wird nur zum Qualifikationsabschluss gegen Aserbaidschan am Sonntag in Kaiserslautern noch einmal getauscht - Trapp beispielsweise ist ja am Betzenberg erst zum tüchtigen Tormann erwachsen.

»Marc verkörpert genau das offensive Torwartspiel, das wir bei der Nationalmannschaft brauchen«, erklärt Bundestorwarttrainer Andreas Köpke, »und dass er in Barcelona inzwischen die unangefochtene Nummer eins ist, gibt ihm zusätzliches Selbstvertrauen.« Der Ex-Nationaltorwart gilt als erklärter Förderer des gebürtigen Gladbachers und sah bereitwillig über die teils grotesk anmutende Serie von Pleiten, Pech und Pannen bei Premieren-Einsätzen in der A-Mannschaft hinweg. »Ich bin sehr froh, dass Marc nach seinem wackligen Start angekommen ist«, versichert Köpke.

Gelingt dem blonden Ballfänger auch in Belfast eine fehlerlose Darbietung, wäre das die beste Eigenwerbung. Vielleicht sogar im Hinblick auf die WM in Russland. Neuers neuerliche Operation am lädierten linken Mittelfuß muss wie ein Alarmsignal wirken, denn vor seinem Bundesliga-Comeback Ende August in Bremen hatte er sich so viel Zeit gelassen, dass er ausführlich Beschwerde führte, warum er denn nicht schon im September zur Nationalmannschaft zurückkehren könne. Rückblickend war die von Joachim Löw verfügte Vorsichtsmaßnahme sehr weise, denn niemand mag sich vorstellen, welches Wehklagen der FC Bayern angestimmt hätte, wenn der Weltmeistertorwart sich nicht im Abschlusstraining vor einem Bundesligaspiel, sondern bei einer Übungseinheit der Nationalmannschaft erneut verletzt hätte.

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