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Bundesliga: Faszination mit vielen Widersprüchen
Der Fußball begeistert Millionen – doch wird seiner sozialen Verantwortung nicht gerecht
Die Faszination für die Bundesliga lässt sich auf unterschiedliche Weise belegen. Zunächst ganz offensichtlich mit Zahlen: In der vergangenen Saison verkauften die Vereine in der höchsten Klasse fast zwölf Millionen Stadiontickets, insgesamt setzte der Profifußball in dieser Zeit 5,87 Milliarden Euro um. Es ist gut möglich, dass die neue Saison, die an diesem Wochenende beginnt, eine Steigerung hervorbringt.
Die Manager der Deutschen Fußball-Liga (DFL) erwähnen gern einige andere Zahlen. Demnach solle der Spitzenfußball direkt oder indirekt fast 62 000 Arbeitsplätze stützen. Und die Klubs würden Steuer- und Sozialabgaben in Höhe von 1,7 Milliarden Euro leisten. Die Bundesliga als Wirtschaftsmotor, das soll die Botschaft sein. Was in den Marketingbroschüren weniger hervorgehoben wird, sind die Millionengehälter für Spieler oder die hohen Prämien für deren Berater – während etliche Klubangestellte und Jugendtrainer niedrige Löhne beziehen. Es gibt in fast jedem Vereinsumfeld eine kritische Minderheit, die auf diese Kluft hinweist. Aber die große Publikumsmehrheit möchte sich ihre Bundesliga nicht schlechtreden lassen. Denn Bundesliga bedeutet Wochenende, Freizeit – und Ablenkung vom Alltag.
Kultur der Nostalgie
Weil schöne Erinnerungen ebenso dazugehören, hat sich eine Kultur der Nostalgie entwickelt. Ein Beispiel ist die ZDF-Dokureihe »FC Hollywood« über den wankelmütigen FC Bayern aus den 1990er Jahren. Es ist eine Collage von spektakulären Spielszenen und launigen Interviews. Der Fußball als Daily Soap, und viele Zuschauer – auch der Autor dieses Textes – fühlten sich dabei an ihre eigene Jugend erinnert. An eine Jugend mit Stickern und Autogrammkarten, an Weltmeisterschaften ohne Gastgeber wie Katar und Saudi-Arabien.
Das Spiel, die Liga und ihre Traditionen lockt Zuschauer an und hält die Einschaltquoten auf einem hohen Niveau. Artikel über den lokalen Profiklub erzielen oft höhere Klicks als Beobachtungen aus dem Rathaus. Das alles stützt die Erzählung von DFL und DFB, wonach der Fußball das »letzte wahre Lagerfeuer« in einer fragmentierten Gesellschaft sei. Aber die Beliebtheit und das Wachstum stützen auch eine Entwicklung, die Traditionalisten aus Berlin, Hamburg oder Stuttgart nicht gern sehen. Seit Anfang des Jahrtausends wollen die großen Klubs neue Märkte erschließen. Regelmäßig reisen der FC Bayern oder Borussia Dortmund nach Ostasien oder in die USA. Mit dabei sind mitunter Sponsorenvertreter, die etwa in China auf lukrative Verträge hoffen.
Wirtschaft und Geopolitik
Neben der bekannten wirtschaftlichen Dimension gibt es auch eine geopolitische. Das russische Energieunternehmen Gazprom stieg 2007 als Trikotsponsor beim FC Schalke 04 ein. Als staatlicher Konzern war er nicht auf Werbung in Westeuropa angewiesen, aber in der vermeintlich unpolitischen Atmosphäre des Fußballs, auf Ehrentribünen und in VIP-Logen, konnten Gazprom-Vertreter auch Kontakte mit deutschen Politikern knüpfen. Ein Schritt, um umstrittene Pipeline-Projekte wie Nord Stream 2 auf den Weg zu bringen. Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Jahr 2022 beendete Schalke die Partnerschaft mit Gazprom.
Oder Katar. Für eine Zukunft nach dem Öl ist die Monarchie am Persischen Golf auf Investoren, Fachkräfte und Touristen angewiesen. Katar hat weniger als drei Millionen Einwohner und ist seinem großen Nachbarn Saudi-Arabien militärisch klar unterlegen. Das Land investiert in Soft Power, also in Wissenschaft, Technologie und vor allem Sport. Ein Puzzleteil für den WM-Gastgeber von 2022 war die Partnerschaft der staatsnahen Fluglinie Qatar Airways mit dem FC Bayern, die von 2018 bis 2023 andauerte. Der Rekordmeister, der Spieler für Feierlichkeiten gern in Lederhosen und mit Weißbiergläsern präsentiert, stützte ein Regime, das keine freien Wahlen duldet, keine Parteien, keine Gewerkschaften. Emirates ist der neue Airline-Partner des FC Bayern. Die Fluggesellschaft stammt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 164 liegen.
Hinter der schnellen Faszination Bundesliga öffnen sich viele Widersprüche. Einerseits unterstützen Klubs Initiativen für benachteiligte Kinder, andererseits machen sie sich von Sportartikelherstellern abhängig, die Näherinnen in Niedriglohnländern ausbeuten. Einerseits lassen Vereine auf ihren Stadiondächern Solaranlagen installieren, andererseits nutzen sie umweltschädliche Besonnungsanlagen zu, damit ihr Rasen auch im Winter wächst. Noch deutlicher ist der Kontrast beim Thema Gesundheit. Die Bundesliga vermarktet sich als Branche für Sport, Nachhaltigkeit und eine gesunde Lebensweise. Allerdings lassen sich die meisten Klubs von Wettanbietern, Süßwarenherstellern und Brauereien sponsern. Einige Fangruppen wollen das nicht akzeptieren. Im Umfeld des FC St. Pauli positionieren sich die »Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen« seit bald dreißig Jahren gegen die hohe Verfügbarkeit von Alkohol in den Stadien. Es ist ein Modell, das auch in anderen Städten aufgegriffen wird: von »Schalke Null-Bier« in Gelsenkirchen oder von »Nüchtern betrachtet, mehr vom Spiel« bei Union Berlin.
Rund um die Bundesliga hat sich eine verzweigte Zivilgesellschaft herausgebildet. Da gibt es »Empty Stands« (leere Ränge), eine Gruppe von Fans, die seit ihrer Covid-Erkrankung an ME/CFS leiden. Sie wollen Aufmerksamkeit für dieses chronische Erschöpfungssyndrom herstellen. Ein weiteres Beispiel: »Sportpride«, ein Netzwerk queerer Anhänger, die sich für Diversität starkmachen. Bis heute lebt kein aktiver Bundesligaspieler offen schwul.
Die meisten dieser Projekte wurden außerhalb der Vereinsstrukturen gegründet, oft von leidenschaftlich und politisch denkenden Fans. Die Klubs loben solch Engagement in den sozialen Medien zwar mit Pathos, für eine finanzielle Unterstützung reicht es dann aber selten. Da ist zum Beispiel der »Lernort Stadion«, eine Initiative, die den Fußball als Medium für außerschulische Bildung nutzt. Ein Großteil der Förderung kommt aus dem Bundesfamilienministerium, also aus Steuermitteln.
Die schwerreiche Bundesliga hat ihr soziales Gewissen 2008 in eine Stiftung ausgelagert. Der Etat und die Belegschaft dieser DFL-Stiftung sind über die Jahre gewachsen, mit einem großen Portfolio von geförderten Projekten an den Bundesligastandorten. Und doch muss sich eine Industrie, die jährlich fast sechs Milliarden Euro umsetzt, die Frage gefallen lassen: Reicht das aus? Wenn der Profifußball es mit seinen sozialen Botschaften ernst meinen würde, dann würde er das gesellschaftliche Engagement für einen Klub zur Bedingung machen, um überhaupt in der Bundesliga spielberechtigt zu sein. Dann würde er zwei oder drei Prozent des Gesamtumsatzes in Projekte, Gesundheitsförderung oder Klimaschutz fließen lassen. Dann würde er fortschrittliche Ideen bonifizieren und scheinheilige Initiativen sanktionieren.
Umstrittene Sponsoren
Lange pflegte die Bundesliga mit Benefizspielen oder Spendenaktionen einen karitativen Ansatz. Das ist wichtig. Aber in einer zeitgemäßen Gesellschaftspolitik geht es nicht darum, wie Unternehmen einen Teil ihrer Gewinne für wohltätige Zwecke spenden. Es geht darum, wie sie diese Gewinne erwirtschaften. Auch in diesem Punkt sind es vor allem Medien und kritische Fans, die auf umstrittene Sponsoren hinweisen.
Die Schlagzeilen der Sommerpause betrafen vor allem Spieler und Trainer: der Wechsel von Florian Wirtz aus Leverkusen nach Liverpool, das wachsende Interesse am Stuttgarter Stürmer Nick Woltemade, das Debüt von Sandro Wagner als Trainer in Augsburg, Gerüchte um Transfers und Streitigkeiten, oft mit großen Diskussionen in sozialen Medien. Die Bundesliga bleibt eine Unterhaltungsindustrie, die Millionen Menschen bewegt. Mit seiner medialen Reichweite wirkt der FC Bayern wie ein Weltkonzern. Doch mit seinen rund 1000 Mitarbeitern gilt er streng genommen als mittelständisches Unternehmen, viele der Angestellten sind mit Werbung und Expansion beschäftigt, insbesondere für die Märkte in Asien und Amerika. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei 952 Millionen Euro.
Man möge sich vorstellen, der FC Bayern würde eine Abteilung für Gesellschaftspolitik einrichten, mit einem Etat von zehn Millionen Euro und 30 Angestellten, mit Sozialarbeitern, Kulturschaffenden, Pädagogen. Eine solche Offensive würde der breiten Öffentlichkeit vermutlich gar nicht auffallen. Aber das wäre auch nicht so wichtig, denn aus der Faszination Bundesliga würde dennoch ein weitaus größerer Nutzen für das Gemeinwohl entstehen, weit über die Emotionen am Spieltag hinaus.
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