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  • Staatsoper Unter den Linden

Zerrissener Zauber

Mit Robert Schumanns »Szenen aus Goethes ›Faust‹« wurde das Gebäude der Staatsoper Unter den Linden wiedereröffnet

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 5 Min.

Annäherung zu Fuß. Die Perspektiven genießen, schauen, wie sich der altvertraute Bau in Berlins Mitte nun wieder ausnimmt: nobel. Goldige Spätsommersonne auf dem frischen Fassaden-Rosa, der sonst leere, allenfalls von Touristen und Studenten durcheilte Bebelplatz voller Menschen. Die Staatskapelle, René Papes Donnerwort »O Freude, nicht diese Töne!«, dann »Freude schöner Götterfunken« - die Gänsehaut, peinlich zu tragen, kam unvermeidlich. Wer will schon sentimental sein.

Beethovens Neunte erklang am vergangenen Sonnabend unter freiem Himmel als Auftakt zum zehntägigen »Präludium« vor der endgültigen Wiedereröffnung des Hauses mit vollem Spielbetrieb. Die ist erst für den 7. Dezember angesetzt, den 275. Gründungstag des Opernhauses. Friedrich II. verfügte für jenen Tag des Jahres 1742 die Eröffnung seines frühen Lieblingsprojekts. Man saß im Inneren einer winterlichen Baustelle und hörte gut vier Stunden lang Oper, Grauns »Cesare e Cleoptara«, grandios und teuer und mit vielen Wachskerzen ausgestattet. Im September 1743 war Knobelsdorffs wunderbar proportionierter Bau dann wirklich fertig. Sein Opernhaus: ein europäischer Pionierbau, in kein Schloss integriert, in keine Häuserzeile gezwängt, ein Solitär in klassizistisch palladianischen Proportionen.

Um-, An- und Aufbauten, Brände und Bombardierungen - das Haus, das immer ein Staatstheater war, erlebte die Geschichte seines Staates sozusagen mauernah. Der letzte Wiederaufbau von den Grundmauern herauf geschah in den frühen 1950er Jahren. Der Architekt Richard Paulick verantwortete eine Wundertat an Respekt und Anverwandlung an Knobelsdorffs Stil und ästhetische Gesinnung. Dass das Opernhaus Unter den Linden nun mit demselben Respekt von den Tiefgeschossen bis zum Dach grundsaniert wurde, verdient letztendlich Hochachtung - über Pleiten, Pech und Pannen unterwegs wurde ausgiebig berichtet.

Die Staatsoper eröffnet ihre Saison am 3. Oktober, das ist Gesetz. Großer Auflauf, roter Teppich, Protokoll und Prominenz. Die Sonne untergegangen, die Illumination fototauglich festlich. Auf dem Programm nach obligatorischem Festakt deutsche Geistesheroen des 18. und 19. Jahrhunderts. »Meistersinger« und »Fidelio« sind als staatstragende Eröffnungspremieren wegen der Bauverspätungen bereits an den 3. Oktobern 2015 und 2016 verbraucht worden. Und die geplante Uraufführung, bei der man auf so sichere Namen wie Wolfgang Rihm und Botho Strauß gesetzt hatte, kam wegen Krankheit des Komponisten nicht zustande. Aber festakt- und einweihungstauglich ist natürlich auch Goethe, vornehmlich der »Faust«. Gounod, Busoni, Boito, Berlioz, Liszt sind als Komponisten dafür eher nicht geeignet, aber Robert Schumann.

»Zum Augenblicke sagen: Verweile doch« hat Jürgen Flimm seine Inszenierung von Schumanns großem oratorischen Werk für Soli, Chor und Orchester »Szenen aus Goethes ›Faust‹« genannt. Vor malerisch kunterbunter Bühne mit Chorgewusel in Biedermeierkleidung die Ouvertüre. Der mit Spannung erwartete erste Akkord entfaltete sich volltönend und durchsichtig im Raum. Akustik gelungen. Der Klang ist opulent, ohne verschwommen zu sein, die Instrumentengruppen mischen sich und sind doch klar durchhörbar. Daniel Barenboim mit Verve mitten in der Romantik des 19. Jahrhunderts. Nach der ernsten Ouvertüre gibt es ein freundliches Aufatmen. Bläserakkorde und eine zarte Cello-Melodie, ein luftiger Walzer, leiten die »Szene im Garten« ein, Gretchens Begegnung mit Faust.

Aber ach, in Jürgen Flimms Inszenierung leitete gar nichts. Unterbrechung der Musik, Sprechszene. Für alle, die sich nicht mehr an den »Faust I« erinnern, wird der Teufelspakt nachgereicht. Kräftig deklamierend verhandeln André Jung als ältlicher, meist larmoyant nörgelnder Faust und Sven-Eric Bechtolf, ein vorwiegend polternd biederer Mephistopheles.

Dann endlich dürfen die Celli erklingen, darf das Solistenensemble der Staatsoper die Bühne in Besitz nehmen. Auf reisende Gaststars wurde verzichtet. Gut hörbar, getragen vom Orchester entfalten sich die Stimmen, auch aus den Tiefen der ziemlich vollgestellten Bühne. Zwei Lüpertzsche Statuen stehen wie Torwächter zu beiden Seiten, in der Mitte ein schräger drehbarer Kasten als Bühne auf der Bühne. Elsa Dreisig, jugendzartes, lyrisches Gretchen, und Roman Trekel als elegant jung gebliebener Faust singen fein und psychologisch differenziert wie in Schumanns Liedern. Der singende Mephisto René Papes ist eine zynisch biegsame, dabei knallharte Klasse für sich.

Und dann ist es auch schon wieder vorbei mit dem musikalischen Zauber. Wieder bietet Flimm Gretchentragödie. Der Lichtblick ist Meike Droste. Naiv gewieft, strahlend traurig schafft sie - was als Spielidee im Übrigen völlig verschenkt wurde - eine Verbindung zu ihrem singenden Alter Ego. Schumann, in dessen Komposition die naturbetrachtenden und philosophischen Abschnitte des »Faust II« im Mittelpunkt stehen, baute auf ein »Faust«-belesenes Publikum. Jedoch zerreißt Flimm wieder und wieder den musikalischen Fluss. Dabei gelangen ihm ausgerechnet die musikalischen Szenen - vor allem, versehen mit einer wohldosierten Portion Ironie, »Fausts Tod« und »Fausts Verklärung I« - am besten.

Im rätselhaften, optisch bis ins Buddhistische schweifenden Finale »Fausts Verklärung II« hatten die Staatsopern-Sänger, Chor, Kinderchor und Solisten dann doch ausschweifend Gelegenheit, sich als grandioses Ensemble zu präsentieren. In DDR-Zeiten aus Not gepflegt und später als gute Tradition beibehalten, erwies sich der Sinn einer wohlerwogenen festen Besetzung des Hauses. Jede Stimme ein Balsam, Evelin Novak, Katharina Kammerloher, Stefan Rügamer, Gyla Orendt, weitere Solostimmen. Streckenweise hatte Daniel Barenboim Mühe, das Gewimmel zusammenzuhalten. Überhaupt gerieten er und Staatskapelle in der streckenweise unwegsamen optisch-szenischen Überfülle gelegentlich in den Hintergrund.

Das auf das Gesamterlebnis zutreffende Zitat findet sich natürlich auch im »Faust« und es wurde mit Inbrunst frei fugiert. Chorus mysticus: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. Premieren kommen und gehen, das Haus ist eröffnet.

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