Die Seidenstraße reicht bis nach Brunsbüttel

Auf Kritik an seiner Wirtschaftspolitik reagiert Peking mit neuen Handels- und Infrastrukturvisionen - und stößt damit auf Skepsis

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Xi Jinping hat Visionen, die größte heißt »neue Seidenstraße«. Damit wird der Parteivorsitzende auf dem 19. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas versuchen, Misstöne aus der Wirtschaft zu überdecken. Zudem senden die chinesischen Statistikbehörden Erfreuliches über Produktion und Preise. Einige Analysten sprechen bereits wieder von »Überhitzungstendenzen«. Auf den Rechenschaftsbericht zur ökonomischen Lage können sich die politischen Entscheidungsträger »schon regelrecht freuen«, meint Frederik Kunze von der NordLB.

Andererseits hat die US-Ratingagentur Standard & Poor’s Chinas Bonität gerade herabgestuft, weil die Schulden zu hoch seien und ständig wüchsen. Kritik gibt es auch in Europa. In der EU herrscht inzwischen ähnliche Angst vor der vermeintlichen Billigkonkurrenz wie in den USA. Neue Anti-Dumping-Regeln sollen weitere Strafzölle gegen das Schwellenland ermöglichen. Auch für rote Investoren will die EU neue Beschränkungen einführen. Zugleich klagt die Europäische Handelskammer in Shanghai über Benachteiligung ausländischer Unternehmen in 15 wichtigen Branchen.

Solche Kritiker wird Xi mit dem »Entwicklungspotenzial« seiner Visionen zu gewinnen versuchen. Die chinesische Initiative »Belt and Road«, die neue Seidenstraße, soll 65 Länder von Asien bis Europa verbinden. »Belt« bezieht sich auf einen Wirtschaftsgürtel entlang der alten Seidenstraße auf dem Landweg, »Road« meint eine neue Seidenstraße über den Seeweg. Der Plan ist »gigantisch«, lobt die HSBC, eine Großbank mit Sitz in London und Wurzeln in Hongkong. 900 Projekte mit einem Investitionsvolumen von 850 Milliarden Dollar stünden in Aussicht. In den beteiligten Staaten leben zwei Drittel der Weltbevölkerung.

Dabei denken Xi und seine Planer strategisch - und agieren lokal bis hinein in die norddeutsche Provinz: Kürzlich besuchte eine hochrangige Delegation aus der Millionenmetropole Guang’an das Industriestädtchen Brunsbüttel an der Mündung der Elbe. In Anwesenheit des Landrates wurde ein »Memorandum« über die Zusammenarbeit der beiden Regionen unterschrieben.

Nicht überall ist man so erfreut über die neue Seidenstraße wie in Dithmarschen. Das Strategiezentrum der US-Marine beäugt Chinas maritime Aufrüstung und sein Vordringen im Indischen Ozean infolge des »Road«-Projektes mit Argusaugen. Die Analysen sind im Internet zugänglich.

Argwöhnisch blickt auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung auf Chinas »Balkan-Seidenstraße-Projekt«. In einer Studie warnt das EU-Förderinstitut vor politischer Einflussnahme. Doch in Serbien oder Griechenland zeigen sich die Regierungen erfreut über strategische Investitionen der Chinesen in heimische Infrastrukturprojekte. Ansonsten, beruhigen Athen und Belgrad, bleibe die EU mit weitem Abstand wichtigster Handelspartner.

Es gehe China nur um geopolitische Eigeninteressen und Rohstoffe, so lautet eine häufig geäußerte Kritik an der Seidenstraße. Doch eine Studie des Entwicklungsökonomen Axel Dreher von der Universität Heidelberg zeigt jetzt erstmals, dass Chinas entwicklungspolitisches Engagement in Afrika zu echtem Wirtschaftswachstum vor Ort geführt hat. Untersucht wurden 4300 Projekte. Weltbank-Entwicklungshilfe habe dagegen keinen Wachstumseffekt.

Angesichts eines weltweiten Bedarfs an Infrastrukturinvestitionen von einer Billion Dollar pro Jahr, wie es die Weltbank beziffert, scheinen Ängste vor einer feindlichen Übernahme über die neue Seidenstraße übertrieben. Und während USA und EU noch unter Abwehrreflexen leiden, gehen Indien und Japan in die Offensive. Beide Länder wollen ihrerseits die Idee eines »Asien-Afrika-Wachstumskorridors« umsetzen. 400 Milliarden Dollar sollen in Afrika investiert werden, um Straßen und Häfen zu bauen. Die Visionen von Herrn Xi bekommen Konkurrenz.

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