Problemfälle der Liebe

Neue CDs mit Werken von Aribert Reimann und Hans Werner Henze

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Aribert Reimann und Hans Werner Henze gelten nicht nur als Meister vokaler Gestaltung, sie sind es auch. Zwei beim Mainzer Label Wergo veröffentlichte Platten mit Werken von Reimann, Henze und Wolfgang Rihm zeigen das sehr plastisch. Es geht darin um Problemfälle der Liebe. »Unanswered love« lautet der Titel der einen Platte. Sie eröffnet mit Reimanns Vertonung der »Drei Gedichte nach Sappho« (Übertragung von Walter Jens) für Sopran und neun Instrumente. Das Stück formuliert existenzielle Probleme. Die Ganglien des Vokalparts sind gespalten. Einmal irisieren, ja verzaubern sie die Sinne, zum anderen verstören sie dieselben. Das Werk, aufgenommen 2009, erzählt von den Enttäuschungen einer Liebe zwischen Frau und Frau.

Sappho lebte etwa ein halbes Jahrtausend vor Christi in Mytilene auf der Insel Lesbos. Sie wurde um die vierzig Jahre alt und gilt als wichtigste Lyrikerin des klassischen Altertums. Nur ein sehr geringer Teil ihrer Dichtung ist erhalten geblieben, hinreichend allemal, sie als kühne, dem Erotischen der Literatur zugeneigte Künstlerin bewundern zu können. Jene drei Gedichte, die der Komponist gewählt hat, formieren ein kleines Monodram, das lesbische Liebe zum Thema hat: Sappho klagt im ersten Gedicht der Göttin Aphrodite, dass sie von ihrer Freundin verlassen wurde. Das zweite drückt ihren Schmerz über den Verlust aus, während das letzte von der Einsamkeit erzählt.

Die Komposition entstand im Jahr 2000 und wurde mehrfach aufgeführt. Hervorragend produziert ist die Aufnahme. Das Begleitensemble besteht aus Musikern der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken/ Kaiserslautern, geleitet von Christoph Poppen. Die neun Instrumente umfassen tiefe Holzbläser: Englischhorn, Fagott, Kontrafagott, keine Violinen, stattdessen drei Bratschen, zwei Violoncelli und einen Kontrabass. Die Sopranlage fehlt. Melancholie, sich verzehrend auf der Grenze zum Schmerz, ist einer der Grundzüge der Komposition.

»Unanswered Love« enthält sodann die »Nachtstücke und Arien« von Hans Werner Henze für Sopran und Orchester auf Gedichte von Ingeborg Bachmann von 1957. Es ist die älteste Arbeit auf der Platte. Henze komponierte den Vokalpart für den großen, heute weitgehend vergessenen englischen Tenor Peter Pears und widmete das Stück Benjamin Britten, Lebenspartner des Sängers. Produziert wurde die fünfteilige Komposition 2009 mit Juliane Banse und der genannten Deutschen Radiophilharmonie unter Christoph Poppen.

Henze, als Homosexueller in der Altbundesrepublik durch Paragraf 175 Verfolgungen ausgesetzt, fühlte sich seit Mitte der 50er Jahre mehrseitig in die Enge getrieben. Vor allem hatte er sich erkühnt, gegen die Prämissen der Avantgarde um Stockhausen und Boulez Einspruch zu erheben und seinen eigenen Weg zu gehen, was zu Missverständnissen, ja Feindseligkeiten führte. Er zog daraufhin nach Italien. Während dieser Zeit dürfte er schlechte Träume gehabt haben in den kühlen deutschen Nächten. Ein bisschen klingt das Werk danach. Deutlich zumal in den die zwei Arien einfassenden Orchesterstücken. Periodisch fahren drohende, ängstliche Gebärden drein und münden in romantischen Gewässern.

Zurück zu Reimann. Bemerkenswert eine weitere Wergo-Platte, die drei Stücke des Berliner Komponisten zusammenfasst. Es sind durchweg ernste, zutiefst humane Arbeiten, produziert vom NDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Christoph Eschenbach. »Spiralat Halom - Traum Spiralen« für großes Orchester (2002) heißt das eine. In der Mitte steht, unantastbar, ein Vokalwerk. Musik, die mahnt, die an die Substanz geht und niemals vergessen werden darf. Zwei selbstständige Orchesterwerke umrahmen es. »Eingedunkelt - neun Gedichte nach Paul Celan« (1992) heißt das Sologesangswerk, ursprünglich gesetzt für Alt, hier in vorbildlicher Ersteinspielung gesungen von dem Countertenor Tim Severloh. Das Stück bündelt Vertonungen von neun Gedichten nach Paul Celan. Es sind bedrängende, angstbesetzte Gesänge.

Reimann nahm das Titelgedicht zum Anlass, aus markanten Versen anderer Celan-Gedichte eine Textstruktur zu bauen, die vokalisierbar ist und im Kompositionsprozess nichts an Sinngehalten einbüßt. Das Material wiegt schwer. Jede Wortwendung perlt wie der Schweiß beim Durchschneiden eines Drahtseils. Celan wurde in seiner Heimatstadt Cernowitz während der Nazibesatzung Zeuge, wie seine Eltern ins Ghetto gesperrt und ermordet wurden. Das Adornosche Diktum, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, hat er nicht akzeptiert.

Reimann ließ diese Arbeit nicht los. Ein Jahr später, 1993, entschied er sich, aus Partikeln der Gesänge und weiteren Materialoptionen Orchesterstücke zu bauen. Gleichfalls neun an der Zahl. Entstanden ist eine Gruppe ganz eigener Kompositionen. Sie mit den Gesängen klanglich in Verbindung zu bringen, war Reimanns Anliegen nicht. Die Atmosphären und Sinngebungen seien zu unterschiedlich. Jedoch scheint es ein inneres Band zwischen beiden zu geben.

Aribert Reimann, Hans Werner Henze, Wolfgang Rihm: Unanswered Love Aribert Reimann: Spiralat Halom. Eingedunkelt. Neun Stücke (beide erschienen bei Wergo)

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