Die EZB wird die Zinsen nicht anheben

Ökonomin Silke Tober über die anstehende Ratssitzung der Europäischen Zentralbank

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Wird der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, diesen Donnerstag tatsächlich den Einstieg in den Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik wagen?
Er wird sicherlich nicht die Leitzinsen anheben. Stattdessen wird er ankündigen, dass die Wertpapierkäufe über das Jahresende hinaus verlängert werden. Das Volumen wird dann aber deutlich niedriger als die jetzigen 60 Milliarden Euro pro Monat sein.

Warum zögert Draghi so sehr? Der Wirtschaft geht es doch wieder gut.
In Deutschland steigen zwar in der Tat die Löhne wieder kräftig und auch die Kerninflation ist hierzulande mittlerweile über dem Vorkrisenniveau. Doch Draghi muss bei seinen Entscheidungen auf die gesamte Währungsunion und nicht bloß auf Deutschland achten. Und dort liegen die Inflationserwartungen trotz des mittlerweile recht breiten Aufschwungs weiterhin deutlich unter der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent und auch die Löhne steigen noch sehr verhalten und bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Silke Tober
Wenn EZB-Chef Mario Draghi diesen Donnerstag zur Pressekonferenz lädt, werden wieder alle Augen nach Frankfurt am Main gerichtet sein. Wird er nun endlich den Einstieg in den Ausstieg aus der Niedrigzinsphase wagen? Was von Draghi zu erwarten ist, erklärt Silke Tober, geldpolitische Expertin am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) im Interview mit Simon Poelchau.

Sind dies nicht auch Probleme konjunktureller Art, die vor allem auch die Staaten angehen müssten?
Natürlich hätte die Politik in Sachen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum während der Krise viel aktiver sein müssen. Die Eurostaaten könnten über eine expansive Fiskalpolitik deutlich direkter die Konjunktur anregen, als es der EZB möglich ist. Da dies aber auch in Zukunft nicht geschehen wird, lastet die Bürde der Stabilisierung der Währungsunion auf der EZB. Dies ist auch ein Grund dafür, dass sie sehr vorsichtig vorgehen muss. Denn sollte das Wirtschaftswachstum in nächster Zeit einen Dämpfer erleiden, dann ist ihr geldpolitischer Spielraum sehr gering.

Es wird teilweise gewarnt, dass ein zu schneller Ausstieg aus der Niedrigzinsphase zu einer neuen Krise führen würde. Teilen Sie solche Befürchtungen?
Im Grunde besteht darin auch Draghis große Herausforderung: Er muss einerseits seine expansive Geldpolitik zurückfahren. Andererseits muss er darauf achten, dass die Zinsen weder zu schnell steigen, noch dass der Euro zu stark aufwertet. Beides wäre Gift für den Aufschwung.

Als Draghi im Juni erstmals ein Ende der Niedrigzinsphase in Aussicht stellte, wertete der Euro stark auf. Hat Draghi das zurückschrecken lassen?
Draghi ist sehr bemüht, dass der Euro gegenüber dem Dollar nicht zu teuer wird. Denn genau wie steigende Zinsen hätte dies negative Auswirkungen auf die privaten Investitionen. Und sowohl im Euroraum insgesamt als auch in Deutschland fangen die Unternehmen gerade erst an, wieder ordentlich zu investieren. Doch hängt der Wechselkurs nicht allein von der EZB ab. Auch die US-Notenbank Fed beeinflusst sie mit ihrem Handeln.

Die Fed schwankt derzeit auch, ob sie die Zinsen noch weiter anheben soll
Die Fed ist da zwar schon viel weiter als die EZB, aber auch sie kündigt in der Tat seit 2015 immer wieder Zinserhöhungen an, die letztlich nicht durchgeführt werden. Schließlich entwickelt sich auch die US-Wirtschaft nicht so gut, wie erwartet wurde. Denn wie im Euroraum sind die Löhne und die Inflation auch in den USA weiterhin zu niedrig für eine deutliche Anhebung der Zinsen.

Wie lange wird diese Niedrigzins- phase noch anhalten, wenn die EZB nurlangsam aus ihr aussteigen will?
Die EZB und insbesondere ihr Chef Mario Draghi betonen seit geraumer Zeit, dass die Zinsen länger auf dem aktuellen Niveau bleiben werden, als die EZB Wertpapiere kaufen wird. Das heißt, dass sie vermutlich frühestens in der zweiten Hälfte nächsten Jahres damit beginnt, die Zinsen wieder anzuheben. Wahrscheinlicher ist derzeit aber, dass dies erst Anfang 2019 passiert. Allerdings kann sich eine Zentralbank nie ganz festlegen. Sie wird immer in Abhängigkeit von der konjunkturellen Entwicklung und den Inflationsaussichten handeln müssen. Insofern kann der Ausstieg aus der Niedrigzinsphase auch schneller kommen. Nämlich wenn der Aufschwung besser läuft, als bisher erwartet.

Aber wie es ausschaut, werden wir doch noch lange in einer Niedrigzinsphase haben.
Wahrscheinlich wird dies auch noch einige Jahre so sein. Schließlich erhöht auch die Fed die Zinsen nur in Trippelschritten. Und die EZB wird es ihr gleich tun, wenn sie mit der Zinswende beginnt. Denn die Kerninflationsrate wird in nächster Zeit vermutlich nicht hinreichend steigen. Außerdem werden auch die früher als normal geltenden Zinsniveaus wahrscheinlich nicht erreicht werden, weil das mittelfristige Wirtschaftswachstum dafür deutlich zu niedrig ist.

Manche Kommentatoren schätzen, dass die Niedrigzinsphase deshalb bis ins nächste Jahrzehnt hinein andauern wird.
Dies ist durchaus möglich. Doch so lange im Voraus sollte sich eine Zentralbank nie festlegen. Und kein Ökonom kann seriös abschätzen, was in drei, vier Jahren ist. So haben wir zwar im Augenblick noch eine sehr schwache Inflationsentwicklung und eine sehr hohe weit gefasste Unterbeschäftigungsquote, die im Euroraum bei knapp 18 Prozent liegt. Doch wenn die Beschäftigung weiter anzieht, dann werden früher oder später auch die Löhne wieder stärker steigen. Und dann ist auch für die EZB die Zeit gekommen, die Zinsen wieder anzuheben.

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