»Die Griechen sind müde«

Die Ökonomin Marica Frangakis über den Kampf gegen die Krise und die Hoffnung auf einen Aufschwung

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 6 Min.

Glauben Sie, dass Griechenland bald aus der Krise kommen wird?
Vor allem schlitterte Griechenland erst spät in die Krise. Als 2007 die Finanzwelt zusammenbrach, passierte in Griechenland nichts. Erst ab 2010 traf die Krise das Land mit aller Härte. Doch jetzt wird es hoffentlich wieder einen Aufschwung geben.

Hätten nicht einige Härten abgefedert werden können?
Die Europäische Zentralbank (EZB) hätte am Anfang stärker intervenieren müssen. Sie hätte die griechischen Staatsanleihen aufkaufen und vom Markt nehmen müssen. Dann hätte nicht gegen sie gewettet werden können. Stattdessen legte die EZB ein Programm auf, das den europäischen Banken erlaubte, die Anleihen mit hohem Gewinn abzustoßen.

Vor allem zog auch die EZB der SYRIZA-Regierung zunächst die Daumenschrauben an, nachdem die Partei im Winter 2015 die Wahlen zum ersten Mal gewonnen hatte.
Die EZB spielte damals eine besonders große Rolle im Bemühen der Gläubigerinstitutionen, Griechenland zu zwingen, ein drittes Kreditprogramm zu unterschreiben. Was das Land letztlich auch machte. Dafür schnitt sie die griechischen Banken von ihren Refinanzierungsmöglichkeiten ab. Sie kamen nur noch mit Hilfe eines Notfallprogramms über die griechische Notenbank an Liquidität. Als SYRIZA bekanntgab, die Menschen in Griechenland in einem Referendum über weitere Sparmaßnahmen abstimmen zu lassen, drehte die EZB endgültig den Geldhahn zu.

Wäre damals ein Grexit, ein Ausscheiden aus der Eurozone, eine Option gewesen?
Das hätte eine Alternative sein können, wenn Griechenland ein Land wie Russland oder Brasilien wäre - mit großen Mengen an Rohstoffen und Erdöl, die es dann exportieren könnte. Doch die hat Griechenland nicht. Deshalb kann es sich nicht vom Rest Europas und der Welt separieren. Im Falle eines Grexits wäre die Wirtschaft schnell auf die Größe von Albanien geschrumpft.

Hatten die harten Auflagen, die die Gläubigerinstitutionen Griechenland in drei Memoranden auferlegten vor allem den Sinn, Anlegern lukrative Investitionen zu ermöglichen?
Die Löhne und Preise sind in Griechenland jetzt niedrig. Eine 100-Quadratmeter-Wohnung im Zentrum von Athen zum Beispiel hat 2010 rund 80 000 Euro gekostet. Jetzt ist sie für weniger als 40 000 Euro zu haben. Griechenland ist der Ort, in den man jetzt investieren muss.

Es kam auch zu einer Reihe von Privatisierungen, etwa der Häfen von Piräus oder Thessaloniki …
Die Privatisierung der beiden Häfen geht auf Entscheidungen aus dem Jahre 2010 im Rahmen des ersten Memorandums mit den Gläubigern zurück. Die jetzige Regierung versucht, derzeit die Rahmenbedingungen zu verändern und zumindest den schlimmsten Aspekten der Privatisierung entgegenzuwirken.

Hat die Privatisierung zur Reduzierung des griechischen Schuldenberges beigetragen, wie es der offizielle Zweck war?
Das war nie ihr eigentlicher Zweck. Zwar wurden 2010 fantastische Summen genannt. 50 Milliarden Euro sollten innerhalb von drei Jahren eingenommen werden können, hieß es damals. Doch diese Zahlen waren nie realistisch. Stattdessen ist der eigentliche Sinn von Privatisierungen, Volkswirtschaften auf lange Sicht radikal umzubauen und den Staat zurückzudrängen. Im Hinblick auf die Finanzierung von Staaten sind Privatisierungen sogar kontraproduktiv.

Warum?
Wenn man privatisiert, reduziert man den Wert des öffentlichen Vermögens. Dieses wiederum dient als Sicherheit für die Staatsanleihen, die Anleger den Regierungen abkaufen sollen. Privatisierungen machen Staatsanleihen für Investoren also riskanter, weshalb diese höhere Zinsen verlangen. Die Position der Regierungen auf den Finanzmärkten wird langfristig dadurch geschwächt.

Was könnte Griechenland tun, um der Schulden Herr zu werden?
Die griechische Regierung versucht seit über zwei Jahren, aus der Krise zu kommen. Sie bringt dabei Maßnahmen auf den Weg, die zwar weh tun, aber das Land modernisieren. Eine davon ist die Reform des Steuersystems, damit der Staat mehr Geld einnimmt. Vor allem Reiche sollen so dazu gebracht werden, endlich ihre Steuern zu zahlen.

Regierungschef Alexis Tsipras hat gleich nach seinem Amtsantritt versprochen, die sogenannte Lagarde-Liste, auf der die Namen von über 2000 potenziellen reichen Steuerbetrügern stehen, aufzuarbeiten. Doch hat man davon bisher wenig gehört.
Die Regierung arbeitet die Liste gerade ab. Sie schafft einerseits Anreize für die Steuerhinterzieher, sich selbst zu stellen, andererseits versucht sie, diesen Angst zu machen. Doch die Situation ist für die Steuerbehörden sehr komplex. Sie wurde letztens sogar von den Gerichten erschwert.

Die Gerichte hintertreiben das Vorgehen des Staates?
Bis vor kurzem war es für die Behörden möglich, säumige Zahler alle fünf Jahre an ihre Schulden zu erinnern, damit diese nicht erloschen. So bekamen sie mehr Zeit, sie einzutreiben. Doch nun entschied ein Gericht, dass die Schulden verjähren, wenn der Staat es nicht schafft, sie in dieser Zeit von fünf Jahren einzutreiben.

Das dritte Kreditprogramm läuft nächstes Jahr aus. Glauben Sie, dass die Gläubiger von Griechenland weitere Maßnahmen fordern oder dem Wunsch nach einem Schuldenschnitt nachkommen?
Ich glaube nicht, dass es zu einem vierten Austeritätsprogramm kommen wird. Die Griechen können einfach nicht mehr, sie sind müde. Vor allem gehen die bereits beschlossenen Verpflichtungen bezüglich eines Haushaltsüberschusses bis ins Jahr 2060. Da sind die meisten von uns tot. Damit haben die Gläubiger, die bisher von Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble angeführt wurden, Athens finanziellen Spielraum stark eingeschränkt.

Ist da genügend Wachstum überhaupt möglich?
Enge fiskalpolitische Grenzen bedeuten zwar nicht automatisch Sparmaßnahmen. Andersherum sind Überschüsse aber nur möglich, wenn die Wirtschaft wächst. Und in Zeiten der Krise sind Sparmaßnahmen kon- traproduktiv, da sie die Wirtschaft zusätzlich abwürgen. Je heftiger die Maßnahmen sind, desto niedriger ist also die Chance, dass die Wirtschaft wieder wächst. Insofern waren die von den Institutionen auferlegten Maßnahmen kontraproduktiv.

Ist die jetzt erreichte Situation dann überhaupt stabil?
Auf kurze Sicht wird es möglich sein, Griechenland wieder voll an die Finanzmärkte zu bringen. Es wird Investoren geben, die bereit sind, die Anleihen des Landes zu kaufen. Doch auf lange Sicht wird das nicht funktionieren.

Warum so pessimistisch?
Die Finanzmärkte sind jetzt wieder dort angekommen, wo sie vor der Krise waren. Und auch die Architektur der Eurozone ist nicht sonderlich stabil. Es gibt also alle Probleme, die es vor der Eurokrise gab noch immer.

Muss dann also das Eurosystem reformiert werden?
Ja. Das Prinzip, dass ein und dieselbe Maßnahme gut für alle Euromitglieder sein soll, funktioniert nicht. Das System schützt weder die Starken noch die Schwachen. Wenn einer untergeht, dann reißt er derzeit alle mit.

Ist also weniger Europa mehr?
Nein. Wir brauchen mehr Integration. Aber die muss gerechter und nachhaltiger sein - sowohl sozial als auch ökologisch. Dies kann nicht über Nacht geschehen, aber wir müssen uns jetzt an einen Tisch setzen und darüber nachdenken, ein neues Europa und einen neuen Euro zu schaffen.

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